SRF: «Der Adler», «Borgen», «Kommissarin Lund», «Die Brücke» – die erfolgreichsten TV-Serien Europas kommen aus Dänemark. Was ist Ihr Geheimnis?
Peter Thorsboe: (lacht) Ich denke, wir haben als Autoren einfach viele Freiheiten. Wir entscheiden, was wir schreiben wollen und wie wir es schreiben.
Das hört man immer wieder. Auch die beiden HBO-Chefs sagen, das sei der Grund ihres Erfolgs. Aber was genau ist mit «Freiheit» gemeint?
Mai Brostrøm: Jedes Mal, wenn wir eine Serie zu schreiben begannen, sagte uns der Produzent: Findet etwas, über das ihr schreiben wollt. Nie kam jemand und fragte: Könntet ihr über das schreiben?
Aber irgendjemand redet dann schon noch rein, oder?
Mai Brostrøm: Wir schreiben jeweils 30 bis 40 Seiten über die Story, die Charaktere und die Philosophie hinter der Serie. Und dann muss der Produzent entscheiden, ob er das mag. Aber ist der Entscheid einmal gefällt, haben wir wieder totale Freiheit. Natürlich sprechen wir mit den Regisseuren, Produzenten und Schauspielern. Aber die Story kommt von den Autoren – und das war bei allen dänischen Serien der letzten 10 bis 12 Jahre so. Es gibt natürlich noch weitere Gründe für den Erfolg dänischer Serien: grossartige Schauspieler, Regisseure und Produzenten.
Mit «The Team» habt Ihr nun eine Serie geschrieben, bei der Fernsehanstalten mehrerer Länder involviert waren. Das hat die Sache vermutlich nicht vereinfacht. Mussten Sie etwas Freiheit abgeben?
Peter Thorsboe: Nein, ich denke nicht. Natürlich war alles etwas komplizierter. Aber schlussendlich war es ein Geschenk für uns. Wir hatten so viele gute Schauspieler aus allen Ländern. Wir leben wie Sie ja in einem kleinen Land und haben nur eine bestimmte Anzahl an Schauspielerinnen und Schauspielern. Und plötzlich konnten wir Schauspieler aus ganz Europa einladen. Das war wundervoll.
Mai Brostrøm: Der Dalai Lama hat mal gesagt: Jeder Mensch sollte jedes Jahr einen neuen Ort aufsuchen – so lernt man etwas Neues. Und das stimmt. Wir mussten für «The Team» viel reisen und viel Neues lernen. Aber genau so entstehen tolle Serien: Man geht raus mit offenem Herzen. Lernt Neues. Und entdeckt Dinge, die man gar nicht gesucht hat.
Der Regisseur Steven Soderbergh hat einmal gesagt, das Kino habe seine Bedeutung als kulturelle Instanz eingebüsst. TV-Serien wie «Breaking Bad» oder «The Wire» seien viel näher am Leben, da man nicht eine Geschichte in zwei Stunden erzählen müsse.
Mai Brostrøm: Ich glaube nicht, dass das Kino tot ist. Aber ich stimme ihm zu, dass man viel mehr Möglichkeiten hat mit einer Serie. Bei «The Team» dachten wir zum Beispiel, wir gehen von hier nach da. Plötzlich merkt man: Diese Figur ist toll, lass uns noch ein wenig bei ihr bleiben. Oder man schlägt plötzlich einen anderen Weg ein. Man kann alles etwas langsamer angehen und besser vertiefen.
Das merkt man. Auch bei «The Team» haben alle Hauptcharaktere noch ihre eigenen «Sidestories», ihre eigenen Geschichten, die sie beschäftigen. Wie wichtig sind diese Nebenschauplätze?
Peter Thorsboe: Die sind sehr wichtig.
Mai Brostrøm: So ist es doch bei uns allen. Wir gehen zu Arbeit, haben aber alle noch unser Privatleben. Man identifiziert sich einfach besser mit den Menschen, wenn man weiss, was sie beschäftigt – neben dem Verbrechen, das sie aufklären müssen. Es ist einfach realer. Das funktioniert übrigens auch wie eine Art Spiegel: Wir spiegeln die privaten Probleme der Figuren mit der Verbrechens-Geschichte.
Viele der populärsten Hauptfiguren von TV-Serien sind Antihelden: Don Draper in «Mad Men», Dr. House, Tony Soprano, Walter White in «Breaking Bad» – haben Sie das auch diskutiert für «The Team»?
Peter Thorsboe: Wir diskutierten oft über die Figur Marius Loukauskis. Er könnte natürlich auch die Hauptfigur sein – dann wäre «The Team» etwas mehr wie Breaking Bad oder Sopranos. Und wir haben ihn lange verteidigt, wollten ihn verstehen. Warum begeht er diese Verbrechen? Warum ist er so? Er ist jedenfalls eine interessante Figur, die jetzt aber ein Antagonist ist. Aber so eine Entscheidung trifft man sehr früh im Schreibprozess.
Mai Brostrøm: Natürlich war uns bewusst, dass der Antiheld in momentanen Serien äusserst populär ist. Aber wir versuchen immer Dinge zu vermeiden, die wir in anderen Serien sehen und versuchen unsere eigene Welt zu erschaffen. Ich liebe «Breaking Bad», aber für «The Team» wollten wir in eine andere Richtung gehen.
Wie stark wird man eigentlich als Serien-Autor von anderen TV-Serien beeinflusst?
Peter Thorsboe: Wir stehen in einer Art Dialog mit anderen Serien. Unsere Serie «Der Adler» war ein Kommentar zur US-Serie «24». Ich glaube alle, die Serien schreiben, kennen das. Wir müssen gar nicht zusammen reden – und trotzdem beeinflusst man sich.
Mai Brostrøm: Natürlich ist man beeinflusst. Aber wir sagen auch: Wir wollen nichts machen, das wir schon in einer anderen Serie gesehen haben. Das wäre langweilig. Natürlich ist das eine Herausforderung. Es wäre einfacher, funktionierende Dinge von anderen Serien zu übernehmen. Aber grundsätzlich ist Inspiration nichts Schlechtes. TV-Serien sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft – darum sieht man ähnliche Tendenzen und Gedanken in mehreren Serien. Und das ist gut.
Gleichzeitig haben Serien auch einen starken Einfluss auf die Gesellschaft. Manchmal kommt es mir vor, dass es kein Gespräch mehr gibt, in dem man nicht plötzlich auf irgendeine Serie zu sprechen kommt. Sie als Autoren von Serien sind eigentlich die heimlichen Stars von heute. Und trotzdem erkennt Sie niemand auf der Strasse. Wie finden Sie das?
Peter Thorsboe: (lacht) Ich finde das gut.
Mai Brostrøm: Sehr gut sogar. Denn als Autor arbeitet man ja immer. Ob man die Strasse runtergeht, in einem Restaurant sitzt. Man beobachtet Leute, wie sie sich verhalten, interagieren. Daraus entstehen unsere Geschichten. Wären wir sehr bekannt, dann wären wir plötzlich die Beobachteten. Ich denke, für uns ist es wichtiger, wenn Leute unsere Serien mögen, als wenn sie wissen, wie wir aussehen.
Wie wird man eigentlich Autorin oder Autor von TV-Serien?
Peter Thorsboe: Ich wollte das immer machen. Ich begann bei Film und Theater, merkte aber bald, dass ich Fernsehserien machen wollte. Als ich zur Filmschule ging, war die TV-Serie noch eine sehr junge Kunstform. Es begann ja erst in den 1960er-Jahren. Ich bin quasi erst die zweite Generation von Serien-Autoren. Aber die Form interessierte mich sehr. So kam ich dazu.
Mai Brostrøm: In meiner Familie waren immer viele Autoren zu Gast. Es war also nichts Sonderbares, schreiben zu können. Fernsehen mochte ich schon immer (lacht), manchmal sogar mehr als Lesen. Ich liess mich dann zur Schauspielerin ausbilden, erkannte aber nach ein paar Jahren, dass ich schreiben möchte. Darum ging ich zur Filmschule. Und da lernten Peter und ich uns auch kennen. Und seither schreiben wir zusammen.
Auch eine schöne Geschichte ...
Mai Brostrøm: (lacht) Eine Liebesgeschichte halt.
Lesen Sie am Montag in Teil 2 des Interviews, wie Mai Brostrøm und Peter Thorsboe für «The Team» recherchiert haben und wie sie mit dem Resultat zufrieden sind.