Die bleibende Einstellung dieses chilenischen Filmes ist ein kurzes Bild gegen Ende hin: Eine nackte Frau und eine nackte Katze auf einem Bett. Beide sind nicht ins Auge springend schön. Und beide sind in ihrem Leben ein wenig verloren. Die Katze hat sich verlaufen, sie gehört in die Wohnung einen Stock höher. Und Gloria ist sich selber abhandengekommen in ihrer kurzen Beziehung zu einem Mann, der nicht darauf verzichten kann, dass seine Ex-Frau und seine Töchter von ihm abhängig sind.
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«Gloria» ist einer dieser Filme, die eigentlich nur aus Exposition bestehen. Von der ersten Einstellung an zeigt er die Lebensumstände der Titelfigur. Gloria ist seit zehn Jahren geschieden, geht auf die sechzig zu und verbringt ihre Freizeit mit Yoga, Enkel hüten und abendlichen Tanzveranstaltungen für Singles. Da lässt sie sich auch immer wieder kurz mit Männern ein, bis sie auf diesen Rodolfo trifft.
Lust auf ein neues Leben
Rodolfo ist charmant und scheu zugleich, hat dank einer Magenband-Operation massiv an Gewicht verloren und eindeutig Lust auf ein neues Leben. Nur lässt ihn das alte offensichtlich nicht los. Seinen beiden erwachsenen Töchtern gegenüber verheimlicht er die Beziehung zu Gloria. Und deren permanente Anrufe nimmt er entgegen mit dem Hinweis, die beiden seien von ihm ebenso abhängig wie seine Ex-Frau, die auch nicht arbeite.
An einem Familienabend, zu dem ihn Gloria mitnimmt, geniesst er zunächst ausdrücklich das, was er bei sich nie hatte: Zusammenhalt und Wärme. Aber er verlässt die Wohnung abrupt, als Gloria und ihr Ex-Mann gemeinsam leicht angetrunken von früher schwärmen.
Nostalgische Discoschlager
In vielen, zum Teil sehr schmerzlichen Szenen wird das Leben der Titelfigur eingekreist und skizziert. Das kommt einem mitunter ziemlich nahe, sowohl Glorias Angst vor der Einsamkeit wie auch ihre Trauer über die verlorene Jugend. Die dringt immer wieder ein, vor allem über die Tanz- und Discoschlager der 70er- und 80er-Jahre, die an den Singles-Abenden laufen und die Gloria im Auto hingebungsvoll mitsingt.
Lelio erweist sich als klares Talent im Aufbau der Sequenzen, im Einkreisen von Stimmungen und beim Umschlag derselben. Allerdings läuft der Film erst zu seiner inszenatorischen Hochform auf, als er schon fast vorbei ist. Zur eingangs skizzierten Einstellung gesellen sich noch ein paar mehr, eine etwa, die Glorias Kopf unter einem kreisenden Haartrockner zeigt, der wie ein Roboter-Heiligenschein wirkt. Oder die wahrhaft kathartische Szene, in der sie sich endgültig von ihrem zaudernden Liebhaber löst und ihre Rache mit herzhaftem Lachen feiert.
Der Verrat des Regisseurs an seiner Figur
Am Ende des Films sehen wir Gloria wieder tanzen, natürlich zu dem Song, der dem Film wohl den Titel gegeben hat. Und irgendwie wirkt das zunächst ein wenig wie ein Verrat des Regisseurs an seiner Figur: Sie ist wieder dort, wo wir sie am Anfang getroffen haben, mit dieser konservierten Begeisterung für ein Lebensgefühl, das ein Sommerhit in uns allen noch Jahrzehnte später auslösen kann – und das Kinopublikum reagiert genau wie die Figur mit nostalgischer Verzückung. Das ist ziemlich abgefeimt vom Regisseur Sebastián Lelio: Denn natürlich streift Gloria keine ihrer Erfahrungen ab. Sie hat einfach eine Enttäuschung mehr überlebt – und das ist ihr Triumph.