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Film & Serien Miloš Forman: der Amadeus des Films

Mit seinem Film «Amadeus» (1984) sorgte Regisseur Miloš Forman in Hollywood für Aufsehen. Gleichzeitig behauptete er damit seinen persönlichen Stil und Autorenzugriff. Immer wieder setzte Forman fehlbare Helden ins Zentrum seiner Filme – und spiegelt damit auch seine eigene Geschichte.

Wie Ernst Lubitsch, Fritz Lang und Billy Wilder ist es Miloš Forman geglückt, sich in Hollywood treu zu bleiben. Nicht nur das: Er prägte das Hollywood-Kino mit und verschaffte ihm neue Impulse – und das in jener gigantischen Filmindustrie, in welcher Regisseure zwar mehr Ressourcen haben als anderswo, im Gegenzug dazu aber die Gelüste des Marktes und der tonangebenden Produktionsfirmen befriedigen müssen.

Bittere Schicksalsgeschichten

Jack Nicholson im Film «Einer flog über das Kuckucksnest».
Legende: Randall Patrick McMurphy (Jack Nicholson) kämpft gegen ein menschenverachtendes System. United Artists

Die meisten von Formans Filmen befassen sich mit dem bitteren Schicksal schräger Charaktere, die ein ungewöhnliches Leben führen: «Amadeus» ist die Geschichte eines Mannes, der ohne es zu wissen ein Requiem auf seinen eigenen Tod schreibt. McMurphy in «Einer flog über das Kuckucksnest» erzählt die Geschichte von einem, der gegen den Strom schwimmt und dabei, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit hochhaltend, selbst auf der Strecke bleibt.

Larry in «Larry Flynt – Die nackte Wahrheit» verbringt sein Leben damit, jegliche Regelwerke, welche die Religion hervorgebracht hat, zu missachten und sich davon weder von Kugelhagel noch von einer Querschnittlähmung abhalten lässt. Und (Anti-) Komiker Andy Kaufman in «Der Mondmann» hat sich sowohl in seinem Beruf wie auch privat aufs Sprengen jeglicher Normen spezialisiert.

Programmhinweis

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«Amadeus - Director's Cut» wird am 19. Juli um 18 Uhr auf SRF zwei gezeigt. Im Anschluss wird ab 21 Uhr live aus Bregenz «Die Zauberflöte» übertragen.

Gegen pervertierte Systeme

Die Protagonisten in Formans Filmen sind keine Heiligen, sondern fehlbare Helden. Sie passen in die Gesellschaft, in der sie leben, nicht wirklich hinein, sind aber keine anti-sozialen Aussenseiter. Sie sind ganz normale Leute mit Macken und kleinen Sünden, die mit ihrer Art, Regelwerke in Frage zu stellen, anecken. Gestärkt durch ihre positive Energie, ihren Glauben und ihre Willenskraft nehmen sie es jedoch mit den widrigen Umständen, in denen sie Leben, auf.

Die meisten Filme Formans thematisieren auch offenkundig religiöse Fragen. «Amadeus» ist eine beängstigende Dreiecksgeschichte zwischen Gott, Religion und dem Menschen. Gott erscheint als Unterdrücker, der dem Menschen keine Wahl lässt, und die Religion als Weltanschauung, der jegliche Verwurzelung abhandengekommen ist.

Es geht Forman um die Frage, was dem Menschen gegeben wird und was ihm vorenthalten blieb – etwa an Talent, wie im Film «Amadeus» (in dem er den mittelmässigen Komponisten Salieri auf das Wunderkind Amadeus treffen lässt.).

Auflehnung gegen pervertierende Systeme

Dabei steht die Frage nach der Quelle, die Talent vergibt oder nicht, nicht im Fokus seines Interesses. Forman greift in seinen Filmen oft religiöse Themen auf: Der Film «Larry Flint - Die nackte Wahrheit» provoziert durch seinen Umgang mit Sex und Pornografie religiöse Werte. «Goyas Geister» thematisiert religiöse Tyrannei und ihre zerstörerischen Folgen. In «Valmont» und «Der Mondmann» geht es, vom religiösen Standpunkt aus gesehen, um Verrat.

Nathalie Portmann als Ines hält ein Kind im Arm.
Legende: Nathalie Portmann kämpft in «Goyas Geister» gegen die Inquisition. The Saul Zaentz Company

Interessant ist, dass diese Elemente in Formans Filmschaffen erst dann auftraten, als er in den USA ankam. In seinen Filmen «Der schwarze Peter» und «Die Liebe einer Blondine», sowie «Der Feuerwehrball», welche zwischen 1963 und 1968 in der Tschechoslowakei entstanden sind, geht es weder um Individualismus noch um die Konfrontation des Einzelnen mit Systemen noch um religiöse Themen.

Doch obschon der Regisseur diese Themen in seinen frühen Filmen nicht explizit behandelt, ist bereits die Silhouette des Filmautors auszumachen, in welchem der Widerspruch, die Auflehnung gegen pervertierende Systeme und ein gewisses Mass an versteckter Gewalt bereits wahrnehmbar in sich trägt. So sind von den neun Filmen, welche Forman in den USA realisiert hat, sieben mit einem «R-Rating» besehen worden, also einer starken Altersbeschränkung.

Vollwaise bereits mit zwölf Jahren

Die Charaktere in Formans Filmen und deren ungewöhnliches Leben spiegeln auch seine eigene Geschichte. Er wurde 1932 in der Tschechoslowakei geboren. Mit zwölf Jahren verlor er beide Eltern. Beide wurden in Konzentrationslagern, in Auschwitz und Buchenwald, umgebracht.

Die Invasion durch die Nazis und deren Besetzung seiner Heimat, der ausgreifende Stalinismus, die Wiederauferstehung von Diktaturen und der sozialistisch geprägte Realismus, welche die kulturelle Atmosphäre des Landes prägten, hatten grosse Auswirkungen auf Forman. Seine sensible Wahrnehmung ebenso langweiliger wie zerstörerischer Systeme liessen ihn später Filme hervorbringen, in denen er eine Art Katharsis, eine Befreiung erreichte.

Ungleich anderer grosser Filmregisseure aus Osteuropa wie etwa Krzysztof Kieślowski verfolgt Forman keine philosophischen Fragen. Er unterzieht seine Charaktere keiner Psychoanalyse. Sein Interesse gilt der Psychose, dem vorübergehenden Realitätsverlust ungewöhnlicher Leute in einer gewöhnlichen Welt – und einer sehr gut gemachten Charakterisierung und deren Entwicklung. Sein brillantes Können hierin mündete in unvergessliche Charaktere Hollywoods, McMurphy und Amadeus, die in der Filmgeschichte ewig bestehen werden.

Helden wie in einem Western

Town Marshals Will Kane läuft die Strasse herunter.
Legende: «High Noon»: Einsame Kämpfer im Western wie bei Forman. Stanley Kramer Productions

Für das marktorientierte Hollywood-Kino ist ein auf solche Protagonisten fokussierendes Kino spannend: Der Individualismus von Helden, die allein sind und pragmatisch eigene Wege, anstatt ausgetretene Pfade, in einer neutralen, statischen Gesellschaft beschreiten, stellt ebenso ein Wert in der Geschichte Amerikas wie eines der Hauptthemen des Hollywood-Kinos dar. So gesehen ist die Einsamkeit des Sheriffs in «High Noon – Zwölf Uhr mittags» von Fred Zinneman oder Ethan aus «Der schwarze Falke» von John Ford und weiteren Hunderten von Westernfilmen interessanterweise durchaus zu vergleichen mit «Einer flog über das Kuckucksnest» und «Amadeus».

Bedeutet dies, dass Forman einfach Glück hatte, in Hollywood zu landen, und eigenständig Filme machen zu können? Oder hatte vielmehr Hollywood Glück, in ihm einen Denker und ein Filmgenie gefunden zu haben, der ihr Lied in einer höheren Tonlage spielen konnte?

Miloš Forman wurde bisher mit insgesamt 44 wichtigen Filmpreisen ausgezeichnet – der erste Preis, den er erhielt, war 1964 ein «Goldenes Segel» des Filmfestival Locarno (der Vorgängerpreis des «Goldenen Leoparden») für sein Spielfilmdebüt «Der Schwarze Peter».

Miloš Forman gehört zum sehr kleinen Kreis, der bisher nur 19 Filmemacher einschliesst, welche zwei oder mehr Regie-Oscars gewonnen haben. Sein Gesundheitszustand erlaubt es ihm nicht, nach Europa zu reisen. Die Bemühungen der Fans und Filmfestivals in seiner Heimat, ihn einzuladen, um sein Lebenswerk zu feiern, blieben bisher erfolglos. Seit 2006 hat Miloš Forman keinen neuen Film machen können und es gibt auch keine Informationen über ein neues Filmprojekt. Es bleibt also offen, ob der Amadeus des Films in seinen letzten Lebensjahren noch einmal eine Rückkehr feiert.

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