Es verblüfft Markus Imhoof noch immer. Eigentlich ist er doch Spielfilmregisseur. Nun verbinden die meisten Menschen seinen Namen mit einem Dokumentarfilm. Sein berührender Film über das Schicksal der Honigbiene ist mit über 230'000 Kinoeintritten der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten.
In 29 Ländern faszinierten die Nahaufnahmen aus dem Bienenstock
Das letzte Spielfilmprojekt hat der Enkel eines Gross-Imkers schon lange bei Seite gelegt. Damals, als er beschloss fünf Jahre Arbeit in einen Film über das Bienensterben zu investieren. Seit der Premiere von «More Than Honey» ist ohnehin alles anders.
Am Filmfestival Locarno hat Imhoof ungewöhnlich starke Reaktionen gespürt: «Dieser Film trifft einen Nerv.» Das war damals klar. Seitdem ist Imhoof Handlungsreisender in Sachen Bienen. In 29 Ländern war der Film zu sehen und Imhoof war meist vor Ort. Sein Film lockt Menschen in die Kinos, die man sonst kaum dort antrifft.
Ältere Leute, das freut Imhoof besonders. Und viele Kinder und Jugendliche, die bereits die Dimensionen des Films verstehen. Viele lässt der Film nicht los, und sie sehen ihn nochmals. Fasziniert von Imhoofs fantastischen Aufnahmen von Bienen im Bienenstock. Gleich in der allerersten Szene werden die Zuschauer Zeugen der Geburt einer Bienenkönigin. Aufnahmen des magischen Innenlebens eines Bienenstocks – in dieser visuellen Brillanz hat man das noch nicht gesehen.
Auf die Biene, so scheint es, können sich alle einigen. Sie bringt uns Honig, sie bestäubt die allermeisten Blüten. Und sie ist bedroht.
Zucker für die Aristokraten, Honig fürs Volk
«Die Biene berührt etwas in uns. Sie hat einen seltsam guten Ruf – obwohl sie sticht. Es kommt wohl aus den Zeiten, als Zucker nur der Aristokratie zugänglich war. Und Honig das einzige, was süss war. Die Nähe des Göttlichen hatte die Biene schon für die alten Ägypter. Der Mensch kann schliesslich keinen Honig machen. Das unschlagbare Image der Biene hängt vermutlich damit zusammen», räsoniert Markus Imhoof.
Sendungen zum Thema
- «Warum ausgerechnet Bienen?» («Reflexe», 15.7.13) «Warum ausgerechnet Bienen?» («Reflexe», 15.7.13)
- «Der Bienenflüsterer» («Kulturplatz», 17.10.12) «Der Bienenflüsterer» («Kulturplatz», 17.10.12)
- Markus Imhoof: «Wenn die Bienen aussterben, wird es traurig.» Markus Imhoof: «Wenn die Bienen aussterben, wird es traurig.»
- Kinoneustart: «More Than Honey» («Box Office», 25.10.12) Kinoneustart: «More Than Honey» («Box Office», 25.10.12)
Auf Sympathie für seine Protagonisten konnte er sich verlassen. Und seine eigene Nähe zu den Bienen half Imhoof, der selbst Hobby-Imker ist, im Film eine starke Empathie mit den Insekten zu erzeugen. Die Zuschauer können ihre eigene Haltung zur Natur überprüfen. Die Biene hat ikonische Qualitäten. «Sie ist wie die Figur von Charlie Chaplin im Film ‹Modern Times›» Diesen Satz hat Imhoof inzwischen sehr oft gesagt. Auch, dass der Erfolg unserer Zivilisation eng mit der Biene zusammenhängt. Nun läuft dieses Verhältnis aus dem Ruder. Das bringen ein paar Film-Szenen auf den Punkt, die man einfach gesehen haben muss.
In China machen Menschen Bienen-Arbeit
Die Bilder über industrielle Bienenhaltung etwa beim Mandelanbau in Kalifornien. In ihrer absurd-apokalyptischen Qualität am auffälligsten ist die Szene aus China. In einer Region, wo praktisch keine Bienen mehr existieren, als Folge von Umweltschäden. Hunderte von Arbeiterinnen – wohlgemerkt menschliche – bestäuben eine Blüte nach der anderen, per Hand. Die Stimme des Schauspielers Robert Hunger-Bühler sagt dazu lakonisch: «Die Biene kann das besser.»
Der Film beeinflusst politische Entscheide ...
Imhoof weiss inzwischen, dass der starke Publikumszuspruch etwas auslösen kann. So müde er inzwischen ist, er ist gerne mit «More than Honey» unterwegs. Und er sieht ihn als ein Exempel dafür, was Filme verändern können: «Beim Kinostart in Belgien stand gleichzeitig der EU-Entscheid in Sachen Pestizide an. Schon am Flughafen, wo die Parlamentarier ankommen, waren Plakate mit einer riesigen Biene und einer Varroamilbe (Schädling, a.d.R.) zu sehen.» Auch im EU-Parlament wurde der Film gezeigt. Bei der öffentlichen Premiere in Berlin trat der deutsche Landwirtschaftsminister auf.
«More than Honey» hat auch den Entscheidungsträgern vor Augen geführt, wie lebenswichtig Bienen für das Ökosystem sind. Dass sie Milliarden zur europäischen Landwirtschaft beitragen. Dass 80 Prozent aller Pflanzen von diesen Insekten abhängen.
... und löst einen Trend aus.
Umweltschutzorganisationen können die Sympathie für Imhoofs Filmfiguren nutzen. Inzwischen wurden sogar Gesetze geändert: Zum Schutz der Bienen hat die Europäische Union die Anwendung dreier Pflanzenschutzmittel aus der Gruppe der Neonicotinoide für zwei Jahre stark eingeschränkt. Weil diese im Verdacht stehen, die Orientierungsfähigkeit der Honigbiene zu beeinträchtigen.
Bienen sind ein grosses gesellschaftliches Thema geworden. Sogar ein Partythema, ein Thema für die Trend- und Stilseiten von Magazinen. Bienenpflege wird längst nicht mehr nur verschrobenen alten Männern überlassen. Jüngere Menschen und Frauen interessieren sich und Imkerkurse sind gefragt.
Seit «More than Honey» sind bei den «Zürcher Bienenfreunden» etwa die Kurse für die nächsten paar Jahre ausgebucht. Und Imhoof sieht gar eine Revolution der Jugend auf die Gesellschaft zukommen, die eine intakte Umwelt zurückhaben möchte. Durch ein übersteigertes «Nutzendenken» werde die Zukunft aufs Spiel gesetzt. Im Schicksal der Biene bündele und versinnbildliche sich das.
Imhoof kämpft in zwei Kategorien um einen Oscar
Bei der Welle der Sympathie würde der Bienen-Botschafter wohl lügen, wenn er behaupten würde, ein Oscar wäre eine riesige Überraschung für ihn. Wenn es denn passiert und sein Bienen-Epos nächsten März in Hollywood ausgezeichnet wird.
Die Schweiz jedenfalls hat seinen Film kürzlich ganz offiziell als Schweizer Anwärter für den besten ausländischen Film geschickt. In der Kategorie «bester Dokumentarfilm» könnte der Film ebenfalls Chancen haben. Markus Imhoof hat sich jedenfalls entschieden, zu lobbyieren. Der bisherige Erfolg des Films motiviert ihn, die «Academy» zu überzeugen, dass sein Film ein «Must-see» ist.
Auch wenn er inzwischen müde ist: Ab Oktober ist er wieder mit dem Film unterwegs, in den USA. Und in ruhigen Momenten tippt Imhoof ein paar Notizen für ein neues Spielfilm-Drehbuch in seinen Computer: «Es ist noch im Larven-Stadium. Es muss noch viel Gelée Royale fressen, bis es eine Königin wird.»