«Rara» bedeutet auf Spanisch «selten», aber auch «seltsam», «merkwürdig», und ist damit ähnlich mehrdeutig wie der englische Begriff «queer» («seltsam», «komisch» oder eben auch «homosexuell»). Der Name der Hauptfigur reimt sich nicht zufällig auf «rara»: Sara. Gleich zu Beginn bekommt sie ihre Zahnspange entfernt und damit auch die Kindheit. Sie ist zum ersten Mal so richtig verliebt und erlebt die ganze Palette der Pubertät: zwischen Identitätssuche und Abgrenzung von der Mutter.
Die Mutter und ihre Frau
Zu Hause ist Sara zusätzlich herausgefordert: ihre Mutter Paula ist lesbisch, und so gehört deren neue Liebe Lia zum Haushalt.
Die kleine Schwester Catalina kann alles noch naiv hinterfragen. Sara nicht mehr, sie weiss um all die Konsequenzen und Verletzlichkeiten, Unsicherheiten, Vorurteile, Eifersüchteleien, Machtspiele. Sara hat zwar den Durchblick, wird mit ihren direkten Fragen aber nicht ernst genommen. Alle reden um den heissen Brei rum. Man gewinnt oft den Eindruck, dass eigentlich sie die Fäden zieht.
Zum Glück hat Sara mit Lia eine zweite Mutter, die häufig die Rolle eines Vaters übernimmt: nämlich auszugleichen, wenn es zwischen Mutter und Tochter mal wieder Probleme gibt. Der Film fängt all dies grandios ein.
Ein «normaleres» Umfeld?
Aber eigentlich wäre ihr Zusammenleben kein Problem, wenn sich das erwachsene Umfeld nicht darin verbeissen würde, eines zu kreieren. Der Vater mit seiner neuen Partnerin, die von ihnen eingespannte Psychologin, der Lehrer.
Als dieser Sara im vertraulichen Gespräch zu verstehen gibt, dass sie sich wegen der sexuellen Orientierung der Mutter nicht schämen müsse, kommt kurz Hoffnung auf. Doch im nächsten Satz wird klar, wo es hingehen soll: «Du hast das Recht in ein … normaleres Umfeld zu ziehen». Also zu Vater und neuer Partnerin.
Doch das wollen die beiden Töchter nicht. So entspinnt sich ein knallharter Sorgerechtsstreit. Der Kindsvater geht den Weg bis ans Gericht, die Regenbogenmütter spannen die Medien ein, um sich mit ihrer aussergewöhnlichen Lebenssituation positiv zu präsentieren.
Formaler Kniff funktioniert
Letztlich geht es um betonharte Überzeugungen, alte Verletzungen und Machtkämpfe auf dem Buckel der Kinder.
Die chilenische Regisseurin Pepa San Martin ist selber lesbisch, wollte aber keinen militanten Film für die Anliegen der Regenbogenfamilien machen. Das gelingt ihr, allein schon formal, indem sie die Perspektive des Kindes einnimmt. Selbst wenn die Erwachsenen in der Nähe der Kinder über diese sprechen, behält die Kamera diese im Vordergrund. In einer anderen Szene bleibt die Kamera stur auf ihrer Augenhöhe und rückt die Erwachsenen aus dem Bild.
So ist «Rara» im Kern eine detailgenaue Milieustudie eines Familienalltags, in dem sich alle erkennen können – ob homo oder hetero.
Kinostart: 1. September 2016