Vordergründig wirkt «Journey to Jah» wie das Video-Begleitprodukt zu einem neuen Reggae-Album: Einer der wichtigsten und erfolgreichsten Reggae-Künstler aus der Bundesrepublik, Gentleman, reist nach Kingston und wird dort von seinen einheimischen Freunden zur Begrüssung innig umarmt. Alsbald sitzt er mit seinem sizilianischen, aber mittlerweile fix in Jamaika wohnhaften Kollegen Alborosie im Studio und tüftelt emsig an neuen Tracks.
Es wird gelacht, gefeixt und über neue Riddims gesungen und getoastet; es findet ein angeregter Austausch über Spiritualität, Sehnsucht und die Suche nach innerer Erfüllung statt. Man ist mit viel Herzblut bei der Sache und bewundert sich offensichtlich gegenseitig. Das alles macht im Kinosaal zwar viel Spass zum Zuschauen und Zuhören, aber eben: Man kennt solche Szenen eigentlich aus der visuellen Musikpromotion. Böse gesagt – es könnte sich dabei im Endeffekt genausogut um Gölä und die Bellamy Brothers handeln.
Rastafari in Stichworten
Die beiden Regisseure des Films – der Schweizer Noël Dernesch und der Deutsche Moritz Springen – hatten allerdings von Anfang an ein höheres Ziel: Ausgehend von den beiden europäischen Musikern und ihrer Faszination für diese Kultur, in die sie nicht hineingeboren wurden, wird nach den Grundzügen des Rastafari-Seins gefragt. Dernesch und Springer interviewen diverse lokale Musiker, Rastas und Kulturspezialisten zu dieser Lebensform, sie bekommen gar Damian Marley vor die Linse.
Und so erfährt man auf unterhaltsame Weise alles, was man zum Thema so wissen muss: der starke Bezug zu Afrika und zum Alten Testament, das Selbstverständnis der Musik als Protest gegen jegliche Unterdrückung, der hohe Stellenwert von Ganja, das stolze Tragen von Dreadlocks sowie der erträumte Ausbruch aus dem Ghetto. Und natürlich wird irgendwann auch diejenige Frage gestellt, die in letzter Zeit am heftigsten debattiert wurde: Wie steht es um die plakative Homophobie prominenter Dancehall-Künstler wie Beenie Man und Bounty Killer, die man in Europa wegen ihren hetzerischen Texten gegen Schwule schon mit Konzertverboten belegt hat?
Mehr als nur ein Joint in der Hand
Indem sie detailliert sowohl die Sonnen- als auch die Schattenseiten der Rastafari-Kultur ausleuchten, können die beiden Filmemacher für sich beanspruchen, dem Publikum zu zeigen, dass hinter dem Reggae (etwa demjenigen von Gentleman) im positiven wie im negativen Sinn viel mehr steckt als die ausgelassene Laune an einem sommerlichen Festival mit einem dicken Joint in der Hand.
Das alles hat man zwar irgendwie schon gewusst – aber in «Journey to Jah» bekommt man es höchst stimmungsvoll und kompakt serviert, zu schönen Bildern und euphorisierenden Klängen. Und man versteht nach dem Film voll und ganz, weshalb westliche Europäer wie Gentleman und Alborosie sich aus freien Stücken mit Leib und Seele dieser jamaikanischen Kultur verschreiben.