Roger Corman, legendärer König der B-Movies, Mentor zahlloser US-Autorenfilmer und Blockbuster-Matadoren, stand zu Beginn der 1970er-Jahre bereit um mit Erwin C. Dietrich, dem Schweizer Produzenten ultrabilliger Sexstreifen, einen Bikerfilm zu drehen. Mit eidgenössischen Hells Angels und Ingrid Steeger. Rückblickend klingt das spektakulär. 1970 aber bedeutete es lediglich: Zwei Geschäftsmänner, beide mit dem Gespür für das, was notgeile Teenager im Kino sehen wollen, spannen zusammen. Know-How-Transfer. Im Billigfilmgeschäft dachte und handelte man schon früh global.
Hollywoods Heilsbringer «Easy Rider»
1969, ein Jahr vor dem angestrebten Gipfeltreffen der beiden Trashfilmer, war «Easy Rider» in die Kinos gekommen und elektrisierte die Branche. Gedreht hatten das Roadmovie Peter Fonda, Dennis Hopper und Jack Nicholson, die alle in Roger Cormans Billigfilm-Fabrik gelernt hatten, wie man ohne Geld einen Kinofilm produziert.
«Easy Rider» war nicht nur ein überwältigender Geschäftserfolg, das Roadmovie traf mit eingängigen Rocksongs, Western-Versatzstücken, freizügigem Sex, heissen Maschinen und drogenvernebelter New-Age-Philosophie den Nerv der Woodstock-Generation. Hollywood reagierte umgehend und setzte auf Hopper & Co. als jene sehnsüchtig erwarteten Heilsbringer, die ihnen die ans TV verlorenen (insbesondere jungen) Zuschauer ins Kino zurückbringen sollten.
Das Ende der Autorenfilme
Die jungen Wilden, welchen die Studiochefs darauf Blankoschecks für den nächsten «Easy Rider» in die Hände gedrückt hatten, mischten die Filmindustrie mit radikalen Autorenfilmen auf. Sie reihten ein knappes Jahrzehnt lang Meisterwerk an Meisterwerk, bis 1975 «Der weisse Hai» und zwei Jahre später «Star Wars» diese Autorenfilmblase zum Platzen brachten. Hollywood wendete sich von den «Easy Riders» ab und dem Blockbuster-Kino zu, einem langfristig lohnenderen Geschäftsmodell. Auf der Suche nach dem nächsten Sternenkrieg wilderten sie darauf durch Cormans Liste mit trashigen Monster-, Thriller-, Sci-Fi- und Fantasyfilmen. Bald dominierten zu stellarer Grösse aufgepumpte B-Movies das Geschäft. Diese zweite, indirekt von Corman befeuerte Revolution ruinierte das wilde US-Autorenkino der 1970er-Jahre und wirkt bis heute nach.
Bikermovies, das grosse Ding der 70er
1970 aber waren Bikermovies das grosse Ding, ein verruchtes Genre, das Roger Corman und seine Handlanger monopolisiert hatten. Es begann 1966 mit «The Wild Angels», den Corman noch selber inszenierte. Als Vorbild diente ihm «The Wild One», die Mutter aller Bikerfilme, in dem Marlon Brando 1953 der Angst vor entfesselter Jugendgewalt das Gesicht lieh. Gerüchte über «Hells-Angels»-Exzesse lieferten Corman das Drehbuch. Er bediente die Drive-In-Kinos – einer der wenigen Orte wo sich Jugendliche unbeaufsichtigt treffen konnten – mit Filmen wie «Hells Angels on Wheels», «Devil's Angels», «Naked Angels» oder «Angels Hard as They Come», die die Lust am Verbotenen, an Chaos, Sex, Gewalt, und Drogen zelebrierten.
«Füdlifilme», die Film-Goldgrube der Schweiz
Nämliches Terrain beackerte in den 1960er- und -70er-Jahren auch der Schweizer Erwin C. Dietrich. Ähnlich wie Corman operierte auch Dietrich in den Grauzonen sich wandelnder Moralvorstellungen und der dadurch entstandenen Nachfrage nach sexuell Explizitem. Obwohl eine Goldgrube, mochten sich arrivierte Schweizer Kulturproduzenten im Geschäft mit im Volksmund so genannten «Füdlifilmen» die Hände nicht schmutzig machen. Die Avantgarde des Schweizerfilms sträubte sich schon aus Prinzip dagegen, massentaugliche Ware zu drehen. So überliess man Dietrich jene Nische, in der Corman in den USA ohne Scheuklappen, mit Risikobereitschaft und viel Geschäftssinn die Popkultur der Protestära mitprägte.
Von den Groupies zu den Hells Angels
1970 begann Dietrich die Massenproduktion hochzufahren. Bald schon verliessen billige Sexfilme die Montagehalle im Monatstakt – selbst gedrehte, neu kompilierte, umgetitelte. Kein Wunder befand man sich bei dieser Menge ständig auf der Suche nach neuen reisserischen Aufhängern. 1970 war man nach Prostitution und Mädchenhandel bei den Hells Angels, bei Groupies, Drogen, Gewalt und Rockmusik angelangt. Phänomene, die auch in der Schweiz Moralhüter, Bedenkenträger und andere Interessierte umtrieben. Dietrich, der eben «Naked Angels» aus der Corman-Fabrik in seinen eigenen Vertrieb genommen hatte, platzierte beim Amerikaner die Idee für einen gemeinsamen Schweizer Bikerfilm mit Hells Angels, Groupies, Drogen, Gewalt und Rockmusik. Das «OK» aus den USA folgte auf dem Fuss.
Discount-Filmmaking
Die Herstellung von «Ich, ein Groupie», wie der Film schlussendlich hiess, verlief dann alles andere als unkompliziert. Zwar traf der von Corman mit der «Inszenierung» beauftragte Jack Hill – ein bis heute von Leuten wie Tarantino kultisch verehrter Filmer – in der Schweiz ein. Doch als man im Zürcher Niederdorf mit dem Dreh des bereits betitelten, beworbenen und verkauften Films beginnen wollte, fehlte der Amerikaner. Er tauchte auch in den nächsten Tagen nicht auf. Nach einer knappen Woche fand die Crew ihren Regisseur von Drogen zugedröhnt in einem Flughafenhotel. Dietrich setzte den Mann ins Flugzeug zurück in die USA und spuckte in die Hände. Nach dem Ausfall von Hill befand man sich im Rückstand und der Ausliefertermin – von der Idee bis auf die Kinoleinwand rechnete man bei Dietrich für einen Film nicht wie heute in Jahren, sondern in wenigen Wochen – rückte schnell näher.
As simple as it gets
Ein Skript war nicht vorhanden, wurde aber auch nicht gebraucht. Die Crew konnte demnach gleich loslegen. Als Leitfigur verband das von Ingrid Steeger gespielte Groupie im freien Fall Sex-Szenen mit Hells Angels, Sex-Szenen mit Rock-Musikern und Sex-Szenen mit Drogen-Junkies. Dazu gemixt noch etwas atmosphärische Töff-Fahrten durchs Zürcher Hinterland, eine Prise Engadiner Bergpanorama und etwas Westberliner Morbidität – fertig war «Ich, ein Groupie». Weil mit Jack Hill auch Corman aus dem Projekt verschwunden war, strich man vor dem Aufhängen auf den bereits im Vorfeld mit «Roger Corman und Erwin C. Dietrich zeigen» bedruckten Plakaten den Namen des US-Produzenten einfach durch. So geschah es, dass Roger Corman die Schweiz nur beinahe mit einem Bikerfilm beglückte.