Der Fernsehkrimi hat in der Schweiz einen schweren Stand, denn unsere kompromissfreudige Wohlstandsgesellschaft ist ein schlechter Nährboden für das Verbrechen - abseits von Wirtschaftsdelikten und Raufhändeln.
Schweizer wollen Krimis
Dennoch erschaffen hiesige Autoren und Autorinnen immer wieder helvetische Schnüffler, die am tourismusträchtigen Lack kratzen und in der hehren Alpenwelt Missstände aufdecken.
Ein grosses Publikum für Krimis gibt es hierzulande allemal, das bestätigen etwa die konstant hohen Quoten der ZDF-Koproduktionen, die dienstags auf SRF 1 laufen, ebenso wie der anhaltende Erfolg der Reihe «Tatort» oder die vielen Skandinavien-Thriller in den Bestsellerlisten und im Fernsehprogramm.
Lieber Menschen als Maschinengewehre
James Bonds oder Jack Bauers hat die Schweizer Literatur keine hervorgebracht; hierzulande wird eher bieder als brachial ermittelt. Brave Hörspiel-Helden wie Polizischt Wäckerli machten es vor, auch wenn sie sich ins Kino verirrten: Im eidgenössischen Krimi muss es menscheln und Maschinengewehre sind tabu.So stellte denn auch 1973 die Serie «Ein Fall für Männdli» mit Ruedi Walter eine gemütliche Verpflanzung solcher friedensstiftender Fahnder in Opas Fernsehen dar, und Männdlis Fälle hatten mehr mit Diebstahl und Betrug zu tun als mit Mord und Totschlag. Als Schweizer in ARD-Diensten löste der aristokratisch aussehende Lukas Ammann unter dem Motto «Graf Yoster gibt sich die Ehre» mit Stil, Charme, Melone und Butler Johann von 1967 bis 1976 Kriminalfälle in der Hautevolee, vorabends und gewaltfrei.
Die sozialkritischen 70er-Jahre: Das «Wachtmeister Studer»-Remake
Etwas mehr Biss bewiesen in den späten 70er-Jahren die drei mit Deutschland koproduzierten TV-Adaptionen von Friedrich Glausers sozialkritischen Romanen, eine davon inszeniert von Kurt Gloor. Hans Heinz Mosers Wachtmeister Studer war ein widerborstigerer Zeitgenosse als 40 Jahre früher sein filmischer Vorgänger Heinrich Gretler, dessen gewaltiger Riechkolben selbst durch dichten Pfeifenrauch Lug und Trug zu wittern vermochte.
Frauen können auch schnüffeln
Eine Generation nach Moser verliehen die von Sabine Boss inszenierten SF-Neuauflagen von Studer-Krimis (2001, 2007) der Glauser-Figur eine zeitgemässe Note durch die Besetzung der Hauptrolle mit einer aufmüpfigen Frau, gespielt von Judith Hofmann.
Apropos Krimiheldinnen: Seither hat SF mit «Tod in der Lochmatt» (2006) und «Mord hinterm Vorhang» (2011) zwei weitere Folgen um kecke Ermittlerinnen angelegt; Stephanie Glaser, der die Miss-Marple-mässige Hauptrolle in letzterem Film auf den Leib geschrieben war, ist leider kurz nach ihrem ersten Auftritt verstorben, aber Bettina Stucky könnte grundsätzlich als Bettina Käser erneut ihre Spürnase in zwielichtige Bauernhöfe stecken.
Die haarsträubenden 80er-Jahre: Von «Maloney» bis zu «Eurocops»
Ende der 80er-Jahre begann sich das jüngere Radiopublikum von DRS 3 über die haarsträubend parodistischen Noir-Abenteuer von Roger Grafs Philip Maloney zu freuen.
Ab 1988 beteiligte sich das Schweizer Fernsehen an der europäischen Koproduktions-Reihe «Eurocops» mit 13 Krimi-Episoden, die am Rheinknie angesiedelt waren. Erfunden wurden die Basler Protagonisten Brodbeck, Merian und Bernauer ursprünglich vom Romancier Claude Cueni, dem zwar auch ein Hauch von Glauserschem Aufklärertum eignete, dessen Plots sich aber eher auf dem Plausibilitätsniveau von «Tim & Struppi» entsponnen.
«Eurocops» als Spielwiese für angehende Cineasten
Während die ersten Folgen vom Fernsehregisseur Jean-Pierre Heizmann verfilmt wurden, entwickelten sich die «Eurocops»-Folgen später zum Spielfeld für eine neue Generation von Cineasten: Nach Erwin Keusch verdienten sich hier Markus Imboden, Markus Fischer, Peter Lehner und Samir erste Sporen als Krimiregisseure ab.
Kommissar «Hunkeler» entstand aus einer Antihaltung
Zu den wechselnden Autoren zählte auch Hansjörg Schneider, dessen auf Tatsachen beruhender Originalstoff «Silberkiesel» dem Korsett der Serie angepasst werden musste. Schneider verarbeitete daraufhin diese Geschichte zu seinem ersten Kriminalroman, dessen autobiographisch anmutender Protagonist Hunkeler ironischerweise seinerseits eine Serie hervorbrachte, nicht nur in Buchform, sondern auch im Fernsehen mit Mathias Gnädinger, die ab 2004 entstanden.
Mutige 90er-Jahre: Kommissar und Täter in Personalunion
Für Gnädinger war der grantelnde Gerechtigkeitsfanatiker Hunkeler nicht der erste polizeiliche TV-Einsatz. Als nämlich das Schweizer Fernsehen 1990 erstmals in die Reihe «Tatort» einstieg, machte die Pilotfolge Furore, weil sich der Titel «Howalds Fall» als zweideutig erwies. Der vermeintliche Serienheld, der von Gnädinger gespielte Kommissar Walter Howald, war selbst der Täter.
Tatort wurde noch zwei Mal neu erfunden
Nach Howalds abruptem Abgang rückte sein Assistent Carlucci, verkörpert von Andrea Zogg, für zwei Folgen als «Tatort»-Protagonist nach und schlug sich mit Neonazis und einer verführerischen Frau herum, bevor er László I. Kishs anglophilem Ermittler Philipp von Burg Platz machte. Dessen aktionsarmes Kopfarbeitertum nach Agatha-Christie-Manier prägte immerhin neun Folgen, bevor SF 2002 aus der Reihe ausstieg.
Stefan Gubser schnüffelt: Ob Bodensee oder Vierwaldstädtersee
Ab 2008 steckte Stefan Gubser einen Fuss ins «Tatort»-Wasser, indem er in koproduzierten SWR-Folgen als grenznah operierender Seepolizist Reto Flückiger der Protagonistin Klara Blum freundlich unter die Arme greifen und gar ans Herz rühren durfte.
Mit dem Umzug nach Luzern (und der Rückkehr von SRF in die Reihe) avancierte Flückiger 2011 offiziell zum Schweizer «Tatort»-Protagonisten und klärt seither hinter der malerischen Fassade der Leuchtenstadt Verbrechen auf, die nicht selten auf das Konto der Reichen und Mächtigen gehen, wie auch in der kommenden Folge, «Schmutziger Donnerstag».