Im Jahr 2022 gelten in den USA neue Gesetze, erlassen von den «New Founding Fathers». Die Arbeitslosigkeit ist praktisch verschwunden, die Kriminalitätsrate beinahe auf null und die Wirtschaft brummt. Der gewichtigste Grund dafür ist «The Purge», jene eine Nacht im Jahr, in der alles erlaubt ist: Zwölf Stunden lang gelten keine Gesetze; eine Nacht lang darf geraubt, gemordet und vergewaltigt werden.
Vielversprechender Stoff in falschen Händen
«Das dient der Triebabfuhr», erklärt Ethan Hawke als James Sandin seinem jungen Sohn. Und Mama Mary (Lena Headey) schaut liebevoll und besorgt, während Papa die schweren Stahlbarrikaden vor Fenstern und Türen der Villa im reichen Vorortsquartier herunterlässt. Im ersten Stock schmollt die achtzehnjährige Tochter, weil ihr etwas älterer Freund dem Vater nicht genehm ist, und sie ihn vor Beginn der Purge-Nacht nach Hause schicken musste. Die Familie richtet sich auf die lange Nacht in der heimischen Festung ein, der staatliche Fernsehkanal verkündet den Beginn der Purge und im ganzen Land hebt das Morden an.
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Das ist eine ebenso faszinierende wie erschreckende Ausgangslage für einen futuristisch-nihilistischen Thriller, ein Konzept, das an die Filme von John Carpenter («Assault on Precinct 13», 1976; «Escape from New York», 1981) erinnert. Aber nach dem allgemeinen Setup, das Regisseur James DeMonaco veranstaltet, wünscht man sich dann tatsächlich bald, dass ein Meister wie Carpenter den Stoff in die Finger bekommen hätte. Denn DeMonaco lässt die Geschichte nach knapp dreissig Minuten aus dem Ruder laufen, beziehungsweise ins brackige Fahrwasser der altbekannten Home-Invasion-Movies steuern.
Die übliche Nummernrevue
Anfänglich bedient das durchaus noch die spannenden Fragen: Der junge Sohn hat voller Mitleid einen verfolgten Schwarzen ins Haus gelassen, weil er auf den Monitoren nicht mit ansehen wollte, wie dieser von einem ganzen Mob totgeschlagen wird. Nun allerdings steht dieser maskierte Mob vor der Türe und verlangt die Herausgabe des Opfers. Und der wiederum hat sich im Haus versteckt und ist entschlossen, sein Überleben auch auf Kosten seiner unfreiwilligen Gastgeber zu sichern.
Wenn es Mama und Papa schliesslich gelingt, den armen Kerl zu überwältigen und er geknebelt und gefesselt auf einem Stuhl sitzt – wie ein Gefangener in Guantanamo oder Abu Ghraib – und Papa den Kindern erklärt, manchmal müsse man zum eigenen Schutz eben auch abscheuliche Dinge tun, dann hat das noch immer eine satirische Bösartigkeit. Aber dann folgt die übliche Nummernrevue mit Eindringlingen, Einzelkämpfen, das Zittern der Tochter unter ihrem Bett und die Wut des Vaters, die ihm die Kräfte eines Berserkers verleiht.
Ein neoliberaler feuchter Traum
Ethan Hawke gibt sich alle Mühe, aber die einzige, die ihrer auch nicht sehr vielschichtigen Rolle etwas abgewinnen kann, ist Lena Headey («Game of Thrones»). Und auch die Ausstattung steuert ein paar schöne Einfälle zum Film bei. Da ist zum Beispiel der ferngesteuerte Spionagepanzer des Sohns, den dieser mit Kamera und Sensoren ausgerüstet hat, mit einer halbverbrannten Puppe als Pilot. Dieses Gefährt liefert etliche der subjektiven Kameraperspektiven, die dem Zehn-kleine-Negerlein-Spiel dann doch noch den einen oder anderen Twist abtrotzen.
Und das Ende des Films erinnert dann noch einmal schmerzlich daran, was da an Potential verschenkt wurde. Die Idee einer gesetzlosen Nacht, einer im Voraus verordneten Generalamnestie erinnert ja durchaus an mittelalterliche Konzepte: die Narrentage, die Vorläufer von Fasching und Fasnacht. Und die Idee, dass eine solche Purge-Nacht es den Staatsbürgern ermöglicht, sich zwölf Stunden lang ungestraft und mit patriotischem Hochgefühl aller unerwünschten Randständigen, Armen, Kranken und Schwachen zu entledigen, ist ein neoliberaler feuchter Traum mit gegenwärtigen Bezügen.
Vermutlich erst der Anfang
Aber eben: John Carpenter hätte das wohl hingekriegt, ohne Rücksicht auf Mainstream und Kassenbedürfnisse. Leider ist das Konzept von James DeMonaco aber ebenfalls aufgegangen. Der Film ist Teil eines Studioprogramms für Low-Budget-Horror im Gefolge von «Blair Witch» und Konsorten. Und dieses Konzept hat eingeschlagen. In den USA wurde «The Purge» am Startwochenende zum Überraschungshit.
Ob das daran liegt, dass sich das Publikum allenfalls doch wiedererkennt, oder eher daran, dass eben doch vor allem Standardfutter geliefert wird, ist schwer zu entscheiden. Sicher ist nur, dass uns noch einige von der Sorte ins Haus stehen und dass es absehbar ist, dass in den nächsten Monaten noch einige Bastarde aus der gleichen Billighölle kriechen werden, wie damals nach den ersten Erfolgen von Michael Winners «Death Wish»-Serie mit Charles Bronson.
Auch Satire kann zum Mäntelchen werden.