Jane Campion feierte Premiere im Januar am Sundance Film Festival in den USA, im Februar folgte die Aufführung an der Berlinale. Die Neuseeländerin, die bisher einzige Frau, die in Cannes eine Goldene Palme gewinnen konnte, präsentierte «Top of the Lake»: eine siebenteilige Fernsehserie, zu sehen auf der grossen Kinoleinwand. Was passiert da im Fernsehen, wenn Serien plötzlich ihren Weg auf Kinoleinwände finden? Und was ist da mit dem Kino passiert, wenn berühmte und viel gerühmte Filmemacher plötzlich Fernsehserien drehen?
Qualität in Serie
Die Fernsehsender haben elegant und gekonnt auf den Rückzug des Filmpublikums ins stille Kämmerlein reagiert. Um das cinephile, aber kinomüde Publikum abzuholen, produzieren TV-Anstalten wie der US-amerikanische Bezahlsender HBO schon seit längerem Serien, die sich himmelweit von den einfachen Sitcoms und Serien abheben.
Andere Sender – in England zum Beispiel BBC oder ITV – ziehen nach. Von «Six Feet Under» über «Breaking Bad» bis hin zu «Rome» oder «Downton Abbey» – Serien erfreuen sich nicht mehr nur bei Couch-Potatoes grosser Beliebtheit. Sie bringen ein cinephiles Publikum dazu, sich mit ganzen Staffeln ein Wochenende lang beim «Binge Viewing» (Dauerschauen von mehreren Folgen am Stück) aufs heimische Sofa zu verziehen.
Fernsehserie als Kinohit
«Top of the Lake» führt diese Entwicklung weiter und ad absurdum. Was für den Rückzug ins Private produziert ist, feiert Erfolge vor grosser Öffentlichkeit, in Berlin, am Sundance und nun als Nachspiel des Filmfestes «Bildrausch» auch in der Schweiz (siehe Box).
Dass eine Fernsehserie zum Kinohit wird, ist zu einem Teil sicher der prominenten Erfinderin, Produzentin und Regisseurin der Serie zu verdanken: Jane Campion, die für «The Piano» unter anderem einen Oscar, die Goldene Palme und einen César gewann, ist Garant für hochstehendes Kino.
Jane Campion setzt neue Standards
Mit «Top of the Lake» setzt die Neuseeländerin nun neue Standards für Fernsehserien: Besetzt ist ihre Dramaserie mit Stars wie Holly Hunter («The Piano»), Elisabeth Moss («Mad Men») und dem Schotten Peter Mullan («My Name is Joe»). Die Bilder der Serie sind atemberaubend – und die weiten Landschaftsaufnahmen der neuseeländischen Berge sind zwar schon auf einem Fernsehschirm schön, scheinen aber für die Kinoleinwand gedreht.
Auch erzählerisch kommt das Krimi-Drama wie ein (sehr langer) Kinofilm daher. Nicht jede Szene ist ausgespielt, nicht jede Geschichte zu Ende erzählt, der Rhythmus ist unregelmässig, manchmal ruppig, manchmal atemlos spannend. Und wenn andere Serien vor allem von Dialogen leben, so wirken sie in «Top of the Lake» zuweilen beiläufig, hingeworfen, hingenuschelt und durch und durch realistisch, fast dokumentarisch – und doch (das merkt man erst nach und nach) transportieren sie ungeheuer Wichtiges.
Mystischer See und verschwundenes Mädchen
In ihrer Anlage erinnert die Serie ausgerechnet an «Twin Peaks» von David Lynch. Das war 1989/1990 die erste Fernsehserie, geschrieben und produziert von einem Kinoregisseur und frenetisch bejubelt von einem Publikum, das sich bis dahin überhaupt nicht um Fernsehserien gekümmert hatte. 20 Jahre später nun also Jane Campions «Top of the Lake» mit ähnlicher Anlage: eine Kleinstadt in den Bergen, ein mystischer See, viele skurrile Figuren. Eine 12-jährige Schwangere wird gefunden, bis zur Brust im See stehend. Später verschwindet sie spurlos. Eine junge Polizistin, Rückkehrerin in ihre Heimatstadt, ermittelt und wühlt den Kleinstadtsumpf immer weiter auf.
Das alles ist grosses Kino, ist man versucht zu sagen. Aber mit sieben Folgen, die alle etwa 58 Minuten lang ist, hat «Top of the Lake» nicht gerade die Ideallänge für einen Kinoabend. Eher für einen ganzen Kinotag, der fast sieben Stunden dauert. Wer es wagt, wird belohnt mit wirklich grossem Kino – produziert für’s Fernsehen.