Ein Wolkenkratzer in Flammen, eine riesige Flutwelle, ein sinkendes Kreuzfahrtschiff – diese und ähnliche Albtraumbilder sind uns bestens bekannt, nicht nur aus dem Kino, sondern immer öfter aus den Nachrichten. In diesem Spagat zwischen erträumten und erlebten Katastrophen steht die Parallelsektion «Genrekino: Survive!» am diesjährigen FIFF, dem Festival International de Films de Fribourg.
Nachdem das FIFF 2013 den Sportfilm und 2012 den Western erkundete, zeigt das diesjährige Genre-Programm, wie vertraute Hollywood-Stilmittel mit lokalen Geschichten überall auf der Welt kombiniert werden können. Im Fall des Katastrophenfilms: vom Erdbeben in Chile («03:34: Terremoto en Chile», 2011) bis hin zur Terror-Attacke in der Moskauer U-Bahn («Metro», 2013). Die elegantesten Filme dieser Reihe sind aber diejenigen aus Südkorea.
Südkorea, neue Hochburg des Katastrophenfilms
In den letzten Jahren hat sich das ostasiatische Land mit seinen Katastrophenfilmen international behauptet. Spätestens seit Yoon Je-kyoons «Haeundae» («Tidal Wave», 2009) bestechen diese Filme mit ihren technisch perfekten Spezialeffekten und einer gekonnten Mischung aus Nervenkitzel und Pathos. Typisch für den Katastrophenfilm: Hinter der Blockbuster-Fassade verbirgt sich Gesellschaftskritik. Das Böse ist kein Monster aus der Tiefsee oder dem All, es entsteht vielmehr durch das fahrlässige oder gar korrupte Tun der Menschen.
In Kim Ji-hoons «The Tower» (2012) zum Beispiel werden beim Prestigehochhaus die Sicherheitsmassnahmen weggespart – wie auch seinerzeit beim amerikanischen Genre-Klassiker «Flammendes Inferno» (1974). Dieser Fehler wird den tapferen Feuermännern zum Verhängnis, genauso wie die Befehle von oben, grössere Menschenmengen zu opfern, um einige wenige – und selbstverständlich auch hochnäsige – Promis zu retten.
Klassenkampf im Zug
Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist auch Thema in «Snowpiercer» (2013) des südkoreanischen Meisterregisseurs Bong Joon-ho («The Host», «Mother»). Im Jahr 2031 herrscht eine neue Eiszeit auf der Erde.
Die einzigen Überlebenden kreisen endlos in einem gepanzerten Zug um die Welt, in dem «Schneebohrer» des Titels. Während die Passagiere in der ersten Klasse noch einen relativen Komfort geniessen, werden die Armen im hinteren Teil des Zugs verbraucht, um das Luxusleben der Reichen zu ermöglichen. Natürlich kommt es zur Revolte, doch auch Tote speisen das System .
«Snowpiercer» ist auch ein Musterbeispiel für eine neue, globalisierte Art des Filmemachens, die am FIFF und in unseren Kinosäalen immer präsenter wird. Diese Verfilmung eines französischen Comic-Buchs wurde in Tschechien gedreht, mit englischsprachigen und koreanischen Stars.
Vom Katastrophenfilm zum Film über die Katastrophe
Neben diesen raffinierten Genre-Fantasien zeigt das FIFF auch Filme über wahre Desaster. Der Eröffnungsfilm «A Prayer For Rain» (2013) des indischen Regisseurs Ravi Kumar dramatisiert die Giftgas-Katastrophe 1984 in Bhopal, Indien. Diese gilt bis heute als schlimmster Industrieunfall aller Zeiten. Im Stil eines Thrillers versucht der Film – ebenfalls mit einheimischen und international Stars besetzt – die Ursachen des Desasters bei der Fahrlässigkeit und Gier der Wirtschaftsbosse und Politiker zu finden.
Gezeigt werden aber auch Dokumentarfilme, wie etwa Yoju Matsubayashis «The Horses of Fukushima» (2013) über das Schicksal der legendären Edelpferde von Fukushima nach dem Tsunami von 2011. Das Leiden der Pferde, gefangen in der atomar verseuchten Sperrzone, zeigt die Inkompetenz und Überforderung der Obrigkeiten angesichts der Katastrophe. Kein Desasterfilm also, sondern der Mikrokosmos einer echten, übergrossen Katastrophe. Und eine kleine Parabel des Überlebens.