«Geistig haben wir nie zusammengepasst. Körperlich auch nicht, würde ich sagen. Aber ich habe den Max wahnsinnig gern.»
Hedy und Max sind seit 62 Jahren verheiratet und wenn sie solche Sätze sagen, dann wird einem als Zuschauer wund und weh. Und doch versteht man irgendwie. Diese Liebe. Diese Generation.
Eine Generation, deren Moral- und Sinnvorstellungen noch aus ganz anderen Zeiten stammen. Eine Generation, die bald verschwunden sein wird. Mit all ihren alten Zöpfen aber auch hehren Werten.
Schweizer Premiere in Nyon - jetzt in den Kinos
Der St. Galler Regisseur Peter Liechti ist bekannt für seine unkonventionellen Filmportraits («Signers Koffer 1995»), seine filmischen Essays («Hans im Glück – Drei Versuche, das Rauchen loszuwerden», 2003) und seine Filmexperimente («Sound of Insects – Bericht einer Mumie», 2011).
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Er ist bekannt als Regisseur, der mit jedem Film Neuland betritt, sich vorwagt in ungemütliches Terrain. Der seine Themen radikal, schonungslos und sehr persönlich angeht. Sein neuer Film «Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern» ist da keine Ausnahme. Er feierte am Dokumentarfilm-Festival «Visions du Réel» in Nyon seine Schweizer Premiere und läuft jetzt in den Kinos an.
Sohn und Regisseur: eine schwierige Doppelrolle
Während eines Jahres hat Liechti seine alten Eltern in ihrem rechtschaffenen Kleinbürgerleben mit der Kamera begleitet. Er hat sich viel Zeit genommen und seinen Eltern seit vielen Jahren wieder einmal richtig zugehört. Und trotz seiner heiklen Doppelrolle als Sohn und Filmemacher im Elternhaus, ist er auch den schwierigen Fragen nicht ausgewichen.
Die Eltern als Hasenpuppen
Die langen Gespräche und Aussagen der Eltern hat Liechti aufgeschrieben und in einem monatelangen Arbeitsprozess zu klaren, starken Sätzen verdichtet. Diese inszeniert er zwischendurch als Kasperletheater. In einem Puppentheater, einem Kunstraum, der seine Kindheit repräsentiert und gleichzeitig die Enge kleinbürgerlicher Verhältnisse.
Dort lässt er seine Eltern als Hasen auftreten und mit fremder Stimme und in Hochsprache ihre Sätze sprechen. Sätze, die sitzen. Diese Inszenierung der Eltern erweist sich als genialer Kunstgriff. Es schafft eine Filmebene, die über die persönliche Ehegeschichte hinaus wächst.
Realität ist uninteressant
Obschon Liechtis Film in die Kategorie Dokumentarfilm läuft: Ein klassischer Dokumentarfilmer ist er nicht. Liechti will nicht die Realität abbilden. Es interessiert ihn die Wahrheitssuche. Die Authentizität. Eine «dokumentierende» Darstellung einer Realität, meint er, ist nie objektiv. Ein Film ist ein Film. Und Kino immer ein Artefakt. Liechti bedient sich verschiedener Realitätsfragmente und setzt diese dann zusammen zu seiner eigenen Geschichte. So auch in «Vaters Garten». Er verwebt sehr klug und feinsinnig Dokumentation und Inszenierung und schafft damit ein berührendes Ganzes.
Schonungslos und hoffnungsvoll
Auch wenn in dem Film viel Erschreckendes gesagt wird: Liechti liefert seine Eltern nicht aus. Er zeigt auch ihre über die Jahrzehnte gewachsene Liebe, die Bescheidenheit, mit der die beiden alten Menschen ihr Leben gelebt haben. Aber trotzdem, ein Versöhnungsprogramm ist «Vaters Garten» nicht. Und das ist auch gut so.