Der 83-jährige Psychiatrieprofessor und Therapeut Irvin D. Yalom sieht sich als Reiseleiter durch die existentiellen Themen des Lebens: Liebe, Todesangst, Einsamkeit und Lebenskrisen. Geschickt verwebt Filmemacherin Sabine Gisiger Yaloms Erkenntnisse mit seiner Biografie. Super-8-Aufnahmen aus dem Familienarchiv und meditative Landschaftsaufnahmen eröffnen einen Raum, über sich selber nachzudenken.
Sabine Gisiger, Sie haben früher eher politische Filme gemacht wie zum Beispiel «Gambit» oder «Do It». Warum jetzt ein Film über Irvin D. Yalom und seine philosophisch-psychologischen Erkenntnisse?
Sabine Gisiger: Das hat mit dem Alter zu tun. Ich bin jetzt 55. Die vergangenen Jahre habe ich mich immer mehr für mein eigenes Inneres interessiert und nach Selbsterkenntnis gesucht. Ich habe angefangen, über das Menschsein nachzudenken. Da habe ich die Bücher von Yalom entdeckt. Sie sind sehr inspirierend: Man liest seine Bücher und liest sich selber.
Ich wollte einen Film machen, der auf die Zuschauenden die gleiche Wirkung hat, wie das Lesen seiner Bücher auf mich hat: mich selbst und andere besser zu verstehen. Das war für mich heilsam und bereichernd.
Und funktioniert der Film auch so? Kommt das so rüber?
Ich habe sehr schöne Reaktionen gehabt, die mir das Gefühl geben, dass der Film für viele Zuschauer so funktioniert. Die Leute kommen auf mich zu. Sie sprechen aber nicht über den Film, sondern erzählen mir spontan über sich selber, über ein Problem mit den Eltern, dem Partner oder den Kindern. Das freut mich riesig. Da merke ich: Der Film regt an, über all das nachzudenken.
Gibt’s neben dem Alter noch einen anderen Ausgangspunkt?
Der Auslöser war der Tod meines Vaters vor 15 Jahren. Ich war erschüttert und hatte das Bedürfnis, mich mit den Themen Liebe, Tod, der Sinn des Lebens auseinanderzusetzen. Mir wurde bewusst, dass ich nur ein Leben habe. Ich fragte mich, was ich vom Leben will, wer ich bin. Eine Psychotherapie half mir und die Bücher von Yalom. Zehn Jahre später, mit 50, wollte ich davon etwas weitergeben. So entstand der Film. Yalom sagt: Je besser wir uns selber kennen, desto besser wird auch unser Leben. Das stimmt genau für mich.
Yalom lässt seine Patienten oft eine Art Lebenslinie zeichnen. Ein horizontaler Strich: Der Anfang der Linie ist die Geburt, das Ende der Tod. Die Menschen sollen auf dieser Linie einen Strich machen und sagen, wo sie jetzt gerade stehen. Mit dieser Geschichte beginnt auch der Film. Mit einem imposanten, verheissungsvollen Bild: Ein Schiff fährt vor einer Skyline unaufhaltsam durchs Bild, wie eine Metapher für unser Leben. Wo sehen Sie sich auf dieser Lebenslinie?
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Bei drei Viertel. ... Nein, wenn ich da genauer rechne, eher zwischen der zweiten Hälfte und drei Viertel. Diese Lebenslinie macht uns auf ganz einfache Weise bewusst, wo wir stehen und was wir vielleicht noch vor uns haben.
Sie haben Irvin Yalom persönlich kennengelernt. Was fasziniert Sie am meisten an ihm?
Seine Menschlichkeit und die enorme Bedeutung, die er der Empathie gibt, der Fähigkeit, sich in andere Menschen einfühlen zu können. Für mich waren Beziehungen zu meinen Freundinnen und Freunden und meine Familie immer das Wichtigste. Beziehungen haben mich schon immer interessiert und ich habe mich stets darum bemüht.