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Film & Serien Zorn und Zärtlichkeit – die Punk-Poetin Patti Smith

Für seinen Dokumentarfilm «Dream of Life» begleitete Filmemacher Steven Sebring die Sängerin Patti Smith elf Jahre lang. Der assoziative Bilderstrom ist eine cineastische Liebeserklärung an die amerikanische Musikerin mit dem rauen Charme.

Sie hockt in diesem Zimmer, das kaum Platz zum Treten lässt. Ein Raum wie eine Schatzkiste, ein Tempel, ein Altar. Hier hat sich Lebenszeit abgelagert, Schicht für Schicht: Fotografien, abgegriffene Taschenbuchausgaben von Blake, Hesse, Rimbaud. Eine schwarze Gitarre, ihr Lieblingskleid als sie noch Mädchen war, ein Rosenkranz, von dem ihr «jede Perle ein Traum» ist. Devotionalien und Nippes. Dinge, die ihr Halt geben, in die sie sich eingraben kann. Sie betastet all das behutsam, fast zärtlich, und erzählt der Kamera ihre Geschichte.

Privat scheu, auf der Bühne ein tobendes Tier

Elf Jahre hat Filmemacher Steven Sebring Patti Smith für seinen Film «Dream of Life» begleitet. Ein intimer, aber nie voyeuristischer Blick auf die «Godmother of Punk» – diese verwitterte Ikone mit ihren dürren Beinchen, den zotteligen Haaren und schlaksigem Cowboy-Gang. Den hat sie sich irgendwann einmal von Bob Dylan abgeguckt. Ein hübscher Junge, dachte sich auch der schwule Dichter Allan Ginsberg, als er sie das erste Mal sah. Scheu und verletzlich wirkt sie, wenn sie in Erinnerungen wühlt – doch über die Bühne tobt sie auch mit 66 Jahren noch wie ein zorniges Tier.  

Ein lebendes Fossil

«Von all den Fertigkeiten, die man als Musiker haben sollte, besitze ich nichts», sagt sie einmal. Sie malt, sie schreibt, fotografiert. Und nicht nur, dass sie eine Schwäche für längst begrabene Dichter hat und mit einer altmodischen Klappkamera hantiert. Die Frau ist auch sonst ein lebendes Fossil. Viele, die ihr wichtig waren, sind schon gegangen: Jim Morrison, Janis Joplin, ihr Künstlerfreund und Seelenverwandter Robert Mapplethorpe, ihre grosse Liebe Fred «Sonic» Smith, Ehemann und Vater zweier ihrer Kinder. Vielleicht auch deshalb ihr leidenschaftlicher Anachronismus: Eine Frau sucht Zuflucht in der Vergangenheit.

Die Asche von Robert Mapplethorpe

Im Film sieht man sie an all diesen Gräbern. Die Überlebende. Wie sie über den Grabstein von Arthur Rimbaud klettert, den ihres Mannes liebevoll berührt. Sie spricht mit «ihren» Toten. Glaubt, dass ihre positiven Eigenschaften in ihr weiterleben. Sie sitzt in ihrem Zimmer und fingert an einem kleinen, hübschen Metallgefäss herum. Als der Verschluss endlich nachgibt, schüttet sie etwas vom Inhalt in ihre Handfläche. Es sind die Überreste von Robert Mapplethorpe. Und sehen gar nicht aus wie Asche, sagt sie. Eher wie kleine, zermahlene Muscheln.  

Treibstoff Menschlichkeit

Mapplethorpe hat das berühmte Coverfoto ihres ersten Albums «Horses» von 1975 aufgenommen: Patti im weissen Hemd, mit Hosenträgern und lässig geschultertem Jackett. Es war androgyn, es war Punk. Legendär auch das Foto auf ihrem Album «Easter», das sie 1978 herausbrachte. Es zeigt ihre nackten, unrasierten Achseln. Und sorgte damals für einen Sturm der Entrüstung. Auf diesem Album befindet sich auch der Song «Because the Night» – ihr erster und einziger Hit.

«Rose auf dem Grab des Punk»

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Kommerzieller Erfolg war noch nie ihr Treibstoff. Im Gegenteil, sie stand ihrer Karriere oft selbst im Weg. Der Entschluss, sich ein Jahr nach ihrem grössten Erfolg mit Mann und Kindern komplett aus dem Musikbusiness zurückzuziehen, war karrieretechnisch katastrophal. Menschlich war er für sie richtig.

Man kann Patti Smith eine «Ikone» oder «Godmother von irgendwas» nennen. Man kann auch sagen, sie sei eine «Rose auf dem Grab des Punk». Jenseits aller Parolen aber ist sie ein zutiefst beeindruckender Mensch. Schöpferisch, frei, wohltuend unzeitgemäss. Und das ist unendlich viel mehr.

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