Es sind vor allem die Katastrophenszenarien nach einem AKW-Unfall – oder auch nach einem Atomkrieg –, die in den Filmen oft spektakulär in Szene gesetzt werden. Und das ist meistens im Bereich des Phantastischen angesiedelt.
So steigt das Monster in «Godzilla» als Folge radioaktiver Verseuchung seines Lebensraums aus dem Ozean. Die Werke «The Day After» (1983), «The Book of Eli» (2010) und «Threads» (1984) beschäftigen sich mehr oder weniger spekulativ mit den Folgen eines Atomkriegs.
Bemerkenswert sind zwei deutschsprachige Fernsehfilme: «Der erste Tag» (2012) und «Restrisiko» (2011) spielen im Umfeld von Kernkraftwerken. Doch es gibt nur wenig Kinofiktion, die in einem AKW selber spielt. Denn die Hintergründe und Mechanismen, die einer Kernschmelze vorausgehen, realitätsnah aufzuzeigen, ist eher komplex – und weitaus undramatischer als eine aggressive Riesenechse.
Berühmte Ausnahme ist «The China Syndrome» (1979) mit Jack Lemmon, Michael Douglas und Jane Fonda. In dem von der Kritik hochgelobten Film geht es um einen Störfall in einem US-amerikanischen Kernkraftwerk, der seine Ursache sowohl in technischem als auch in menschlichem Versagen hat.
Kammerspiel im Kontrollraum
Über weite Strecken ist «The China Syndrome» ein Kammerspiel – ein Grossteil spielt sich im Kontrollraum des Kraftwerks ab. Ähnliche Wege beschreitet nun der von SRF koproduzierte Fernsehfilm «Tag der Wahrheit», der im Dreiländereck angesiedelt ist.
Im AKW Haut-Rhin verschafft sich ein schwerbewaffneter Mann Zugang zur Leitstelle und kontrolliert binnen kurzer Zeit die gesamte Anlage. Er droht, eine Kernschmelze zu verursachen, wenn nicht innerhalb weniger Stunden die Wahrheit über den maroden Zustand des Kraftwerks sowie die Gefahr, die davon ausgeht, an die Öffentlichkeit gelangt.
Vorbild in der Realität
Es liegt auf der Hand, dass mit dem maroden Kraftwerk Haut-Rhin eigentlich das berühmt-berüchtigte AKW Fessenheim gemeint ist. Es wurde 1977 in Betrieb genommen und ist damit das älteste noch aktive Kernkraftwerk Frankreichs. Fessenheim löst in Kreisen von Atomskeptikern ein gruseliges Schauern aus. Sie halten das Kraftwerk für eine tickende Zeitbombe mit eklatanten Sicherheitsmängeln.
Ganz anders sieht das eine Expertengruppe der EU. 2011/12 wurden alle Kernkraftwerke Frankreichs einem Stresstest unterzogen. Fessenheim rangierte punkto Sicherheit ganz oben.
Politikum erster Güte
Der Film «Tag der Wahrheit» punktet nicht bloss mit einer präzisen und anschaulichen Illustration von technischen Vorgängen, die zu einem Super-GAU führen könnten. Der Fernsehfilm zeigt auch, dass die AKW-Betreiber von Haut-Rhin in einem wirtschaftlichen und machtpolitischen Spannungsfeld stehen.
Auch hier lehnt sich «Tag der Wahrheit» an das leibhaftige Vorbild an. Fessenheim ist ein Politikum erster Güte. François Hollande erklärte 2001, im Falle seiner Wahl würde er bis 2025 ein Drittel aller französischen AKWs stilllegen, Fessenheim unmittelbar nach Amtsantritt. Dieses Wahlversprechen hat er gebrochen: Fessenheim läuft immer noch, neues Abschaltedatum ist Ende 2017.
AKW als Wirtschaftsmotor
Die jüngste Panne im AKW Fessenheim geschah Anfang März 2015. Infolge undichter Leitungen wurde die Stromproduktion im Reaktorblock 1 gestoppt, eine Woche später aber wieder aufgenommen. Präsident Hollande bekräftigte nach diesem Zwischenfall seine Ausstiegspläne.
Flugs reiste sein Rivale Nicolas Sarkozy ins Elsässer Örtchen, stellte sich vor die Presse und attackierte Hollande: Fessenheim dürfe niemals abgeschaltet werden. Bloss um die Grünen zufriedenzustellen, opfere die Regierung Tausende von Jobs. Er, Sarkozy, würde das verhindern.
Solche politischen Ränkespiele veranschaulicht «Tag der Wahrheit» gleichzeitig vorausschauend und retrospektiv. Anders verhält es sich bei der drohenden Kernschmelze. Hier kann man nur hoffen, dass es bei der Spekulation des Drehbuchautors Johannes Betz bleibt und nicht den prophetischen Charakter von «The China Syndrome» haben wird.
Der Film kam am 16. März 1979 in die amerikanischen Kinos. Zwei Wochen später kam es im Kraftwerk Three Mile Island zu einer Kernschmelze. Punkto Gefahrenpotenzial wird dieser Zwischenfall im US-Bundesstaat Pennsylvania bloss noch von Tschernobyl und Fukushima übertroffen.