Guillermo del Toros «Nightmare Alley» läuft in den Kinos – in voller Farbe. Doch in den USA konnte der Kult-Regisseur mit seinem neuen Neo-noir-Film bisher nicht die Eintrittszahlen verbuchen, die sich Verleiher Disney erhofft hatte. Darum wird «Nightmare Alley» gleich noch einmal lanciert: in einer Schwarzweiss-Version.
Schwarzweiss wird zur Special Edition
«Nightmare Alley» erzählt vom skrupellosen Stan (Bradley Cooper), der sich Ende der 1930er-Jahre vom Karnevals-Wahrsager zum Society-Hellseher in New York hochbetrügt.
Die erste Verfilmung von William Lindsay Greshams Roman «Nightmare Alley» mit Tyrone Power im Jahr Jahr 1947 war noch ein waschechter Film noir: In den 1940er-Jahren war das normale Kinoerlebnis noch immer schwarzweiss, auch wenn 1939 «The Wizard of Oz» und «Gone with the Wind» den grossen Durchbruch von Technicolor lanciert hatten.
So hat Perfektionist del Toro seine Neuverfilmung mit Bradley Cooper an das Original angelehnt und den Film kontrastreich ausleuchten lassen, wie es das Schwarzweiss-Filmmaterial vor 75 Jahren erforderte – und das Experiment gleich auch mit einer Schwarzweiss-Version als «Special Edition» abgerundet.
Abheben mit dem Vintage-Look?
Die Schwarzweiss-Version kam an Festivals und bei einzelnen Aufführungen in den USA so viel besser an als die farbige Kinoversion nach dem Start, dass Filmverleiher Disney nun hofft, mit der Schwarzweiss-Version auf bessere Eintrittszahlen zu kommen.
Die Chancen stehen gut. Denn richtig eingesetzt hat die Expressivität von Schwarzweiss sich immer wieder vom Standardkino absetzen können. Unvergessen etwa ist Steven Spielbergs «Schindler’s List» von 1993, wo durchgehendes Schwarzweiss dem Regisseur dabei half, sein Holocaust-Memento vom Kostüm-Kino abzuheben.
Der Film wirkte umso realer, da er damit auch der zeitgenössischen, schwarz-weissen fotografischen Dokumentation aus der Zeit näherkam. So prägte sich auch speziell jene Szene mit dem kleinen Mädchen im überraschend roten Mantel ein, die das Erwachen von Schindlers Gewissen signalisiert.
Weg von der Realität
Regisseur Frank Darabont («The Walking Dead»), der unter anderem Stephen Kings «The Green Mile» verfilmt hat, verweist darauf, dass schwarzweiss sich gezielt von der Realität abhebe, weil es sichtbar mache, dass es sich um Film handle.
Eine überhöhte Nachbildung der Realität erzeuge Schwarzweiss-Film, sagt Darabont, der – wie jetzt Kollege Guillermo del Toro – schon 2007 mit einer schwarzweissen Version seiner Stephen King Verfilmung «The Mist» experimentierte.
Schwarzweiss führe die Magie des Kinos einen Schritt weiter, sagt Frank Darabont. Es zeige uns die Welt, wie sie in unserem farbigen Alltag eben nicht existiere. Eine Welt, die ausschliesslich im Film zu haben sei.
Für mehr Klarheit und Geschichte
Das ist genau das Paradox, das die Wirkung von schwarzweiss so ambivalent macht. Die expressive Reduktion der Welt auf hell und dunkel entspricht unserem Bedürfnis nach klaren Erzählungen.
Gleichzeitig assoziieren wir die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der Schwarzweiss-Fotografie, welche die Medien damals (und die Geschichtsbücher heute) dominierte.
Neo-Schwarzweiss-Filme wie Woody Allens «Zelig» (1983), die Oscar-gekrönte Stummfilm-Hommage «The Artist» (2011) oder Alfonso Cuarons «Roma» (2018) verdanken ihre Wirkung genau dieser faszinierenden Mischung aus gefühlter Geschichtsträchtigkeit in der gleichzeitigen Abgrenzung von unserem farbigen Alltag.