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Filmemacher stirbt 80-jährig Richard Dindo: Gegen die Ungerechtigkeit und das Vergessen

Er porträtierte die Aussenseiter, die gegen Ungerechtigkeit kämpften. Nun ist Richard Dindo mit 80 Jahren gestorben. Wir blicken mit der Film- und Kulturexpertin Marcy Goldberg auf den Schweizer Filmemacher, der sich zeitlebens mit den Mächtigen anlegte.

Richard Dindos Dokumentarfilme entdeckte ich Mitte der 1990er-Jahre: Zuallererst «Charlotte Salomon: Leben? Oder Theater?» (1992) über die deutsch-jüdische Künstlerin, die auf der Flucht vor den Nazis in Südfrankreich ihre Lebensgeschichte in Bildern malte. Dann «Ernesto ‹Che› Guevara. Das bolivianische Tagebuch» (1994) – seine subjektive Spurensuche über den letzten, fatalen Feldzug des argentinisch-kubanischen Revolutionsführers.

Marcy Goldberg

Film- und Kulturexpertin

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Marcy Goldberg (geb. 1969) ist freischaffende Filmfachfrau, Dozentin für Kultur- und Medienwissenschaft an der Hochschule Luzern und hat die Karriere von Richard Dindo eng mitverfolgt. Die schweizerisch-kanadische Filmexpertin ist regelmässig auf verschiedenen Kanälen SRF präsent.

Solche innovativen Porträt-Dokumentarfilme machten Dindo zum international bekannten und bewunderten Filmautor. Später zog ich nach Zürich und begann, mich mit Dindos filmischer Aufarbeitung der Schweizer Geschichte auseinandersetzen. Aufgrund dieser kritischen Filme genoss er im eigenen Land einen etwas komplizierteren Ruf, wie ich bald entdeckte.

«Hier spricht Dindo, der Filmemacher»

Nachdem mein erster Aufsatz über ihn 2002 erschienen war, rief er mich an, um mir mitzuteilen, was er daran richtig fand – und natürlich auch weniger richtig. «Hier spricht Dindo, der Filmemacher.» So meldete er sich immer: «Dindo, Cineast» oder «Dindo, the filmmaker». Er sprach und schrieb fliessend Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, auch etwas Spanisch.

Als Kind einer italienischen Arbeiterfamilie und früher Schulabgänger war er stolz darauf, Autodidakt zu sein. 1966 ging er 22-jährig nach Paris für seine Lehr- und Wanderjahre. Mit der Stadt würde er bis ans Lebensende tief verbunden bleiben. Als Stammgast in der französischen Cinémathèque bildete er sich selber zum Filmkenner aus. In Paris wurde er auch von der 1968er-Protestbewegung massgeblich geprägt.

Ein Unbequemer in der Schweiz

In der Schweizer Heimat fing er an, selber Filme zu machen. Seine Spezialität: innovative Dokumentarfilme über Kunstschaffende, politisch aktivistische Menschen, Aussenseiterinnen und Unangepasste. Er experimentierte immer wieder damit, die richtigen Wörter und Bilder zusammenzufügen, oder gegenüberzustellen, um der Wirklichkeit gerecht zu werden. Mit seiner «filmischen Lektüre» der autobiografischen Schriften von Max Frisch («Journal I-III», 1981) erreichte er den Höhepunkt seines Stils.

Zwei Männer schütteln sich die Hand an einem Rednerpult.
Legende: Fünf Jahre nach seinem ersten Film erhält Richard Dindo (rechts) 1977 den Zürcher Filmpreis für seine Doku «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.». KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str

In der Schweiz ist Dindo vor allem für seine unbequeme Lesart der Zeitgeschichte bekannt. Mit «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.» (1975, zusammen mit dem Journalisten Niklaus Meienberg) und «Grüningers Fall» (1997, nach dem gleichnamigen Buch des Historikers Stefan Keller) übte er scharfe Kritik an der Haltung der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs und rüttelte dabei am Selbstbild des Landes, neutral und gerecht gehandelt zu haben.

Als die Filme herauskamen, wurden sie kontrovers aufgenommen, inzwischen ist ihre kritische Sichtweise breit akzeptiert. Die Geschichten wurden inzwischen von jüngeren Filmschaffenden als Spielfilme adaptiert.

Der leidenschaftliche Cineast

Dindo wird oft als Rebell gehandelt - oder als einer, der ausschliesslich rebellische Figuren porträtiert. Ich sehe ihn eher als Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit und gegen das Vergessen. Und auch noch als einen leidenschaftlichen Cineast mit einem grossen Gespür fürs Poetische und fürs Wahrhaftige, was für ihn kein Widerspruch war.

Radio SRF 2, Kultur Nachrichten, 14.2.2025, 7:00 Uhr

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