Nein, man muss nicht an Gott glauben, um von Bill Violas Werken gepackt zu werden. Schliesslich setzt sich Violas Videokunst mit Themen auseinander, die wirklich jeden betreffen: Geburt, Transformation und Tod.
Kaum hat man den Blick auf eine seiner Installationen gerichtet, ist man mittendrin im Geschehen. Man brennt, taucht unter oder hängt kopfüber – meist in Zeitlupe.
Trotz grösster Dramatik wirkt alles betörend schön – fast wie ein Gemälde, dessen Figuren durchs Betrachten soeben zum Leben erweckt wurden. Wer sich Violas animierten Tableaus hingibt, macht seinen Geist frei für Grenzerfahrungen existentieller Art.
Museumsbesuche als spiritueller Akt
Kein Wunder wurden seine Werke immer wieder in Kirchen ausgestellt. Im Frühling 2014 beispielsweise unter dem Titel «Passions» im Berner Münster. Besonders viel Energie steckt in den beiden Installationen, die seit einigen Jahren in der Londoner St. Pauls-Kathedrale zu bewundern sind: «Mary» und «Martyrs».
Zwölf Jahre lang hat Bill Viola mit der Realisierung der beiden religiös aufgeladenen Auftragsarbeiten gerungen. Zwölf Jahre, die der britische Regisseur Gerald Fox nun zu einem Dokumentarfilm verdichtet hat. Während der langen Entstehungszeit von «Bill Viola: The Road to St. Paul's» ist es Fox immer wieder gelungen, essentielle Momente im künstlerischen Prozess mit seiner 16mm-Kamera einzufangen.
Der Film dokumentiert aber nicht nur die Erschaffung zweier Kunstwerke. Er wächst weit über den geplanten Zweck hinaus, als Bill Viola während der Dreharbeiten schwer erkrankt. Die Doku gewinnt dadurch an Dringlichkeit und Grösse: Sie wird selbst zum Echoraum für Violas Themen Tod und Transformation.
Pionier der Videokunst
Der Kanton Basel scheint für Bill Violas Kunst ein besonders gutes Pflaster zu sein. Das Schaulager im nahen Münchenstein beherbergt seit geraumer Zeit eine wichtige Viola-Sammlung, wie Insider wissen.
Und wer die Kunst des gebürtigen New Yorkers noch nicht kennt, kriegt durch das Filmfestival Bildrausch einen idealen Einstieg geboten. Das Oeuvre des 66-jährigen Pioniers der Videokunst erstreckt sich inzwischen über vier Dekaden.
Als Meister seines Fachs gilt Viola nicht zuletzt, weil er mit seinen Installationen oft Wundersames schafft: Die Zeit radikal zu entschleunigen, um Oasen der Achtsamkeit zu schaffen.
Jenseits dogmatischer Leitsätze
Wer will, kann darin buddhistische Prinzipien erkennen, zumal Viola fast zwei Jahre lang in Japan lebte, wo ihn Zen-Meister Daien Tanaka unterrichtete. Aber auch über christliche und sufistische Einflüsse liesse sich an dieser Stelle munter philosophieren; wenn man damit nicht das Ziel der Übung verfehlen würde.
Bill Violas kreative Auseinandersetzung mit den menschlichen Grundsatzfragen einer bestimmten Tradition zuzuordnen, wäre nämlich nicht im Sinne des weitsichtigen Bildmystikers. Schliesslich besteht der Reiz von Violas Kunst gerade im universellen, religionsübergreifenden Charakter seiner Spiritualität.
Die erhöhte Sensibilität fürs Wesentliche, die im Bildrausch auftritt, holt das Beste aus uns allen heraus. Ob man Muslim, Christ oder Atheist ist, wird da zur Nebensache.