Millionen von Leserinnen und Lesern weltweit hat das «Tagebuch der Anne Frank», die 1945 als 15-Jährige im KZ ermordet wurde, erstmals die Augen für den Horror des Holocaust geöffnet. Jenes Tagebuch, das Anne Frank im Familienversteck im Haus in Amsterdam an ihre imaginäre Freundin Kitty geschrieben hat.
Diese Kitty mit den feuerroten Haaren erweckt der neue Animationsfilm von Ari Folman zum Leben – mitten in unserer Gegenwart: Der Blitzschlag in eine Vitrine im Anne-Frank-Museum lässt die Tinte aus den Tagebuchseiten hochsteigen.
Plötzlich steht Kitty da und sucht ihre Freundin Anne. Sie weiss weder, dass sie tot ist, noch, wie viel Zeit seither vergangen ist.
«Tut alles, was ihr könnt!»
Als Kitty herausfindet, wie viele Strassen, Theater und Institutionen nach Anne Frank benannt wurden, wird sie wütend. Ihre Freundin Anne habe ihr Tagebuch nicht geschrieben, um verehrt zu werden, ruft Kitty vom Dach eines Asylzentrums, das geräumt werden soll. «Was wirklich wichtig ist: Tut alles, was ihr könnt, um auch nur eine einzige Seele zu retten.»
Der Animationsfilm von Ari Folman erzählt von Anne Frank ganz gegenwärtig, mit Fantasy- und Pop-Elementen und mit Teenagern von heute als Protagonistinnen.
Idee kommt aus der Schweiz
Die Idee für den Film «Where is Anne Frank» stammt aus Basel, genauer gesagt von Yves Kugelmann. Er ist Chefredaktor der jüdischen Wochenzeitung «Tachles» und Stiftungsrat im Basler Anne Frank Fonds. Dort hätten sie sich schon vor Jahren überlegt, wie man das Interesse an Anne Frank – und an dem, wofür sie steht – am Leben halten könne.
Mit der Idee eines zeitgenössischen Animationsfilms wandte Kugelmann sich dann an Regisseur Ari Folman, der mit seinem animierten Dokumentarfilm über traumatisierte Libanon-Soldaten «Waltz with Bashir» vor 13 Jahren in Cannes einen fulminanten Auftritt hatte.
Das Versprechen der Mutter
«Ari Folman wollte erst mal nicht», erzählt Yves Kugelmann. Er habe dann schliesslich doch zugesagt, weil ihm jede künstlerische Freiheit eingeräumt wurde, weil er bei seinen eigenen Töchtern ein Interesse feststellte. Und weil seine Mutter, eine Holocaust-Überlebende, ihm gesagt habe, er müsse den Film nicht machen – aber wenn doch, werde sie lange genug leben, um die Premiere zu erleben.
Nun ist er also da, dieser Film. Er ist eigenwillig, eindrücklich, zugänglich und überraschend ikonoklastisch in seinem Bemühen, nicht Anne Frank ins Zentrum zu stellen, sondern das, wofür sie und ihr Tagebuch stehen.