Die kleine Mija ist in Südkorea aufgewachsen. Zehn Jahre lang lebte sie mit dem riesigen Super-Pig Okja bei ihrem Alpöhi. Das computeranimierte Tier, mehr Nilpferd als Schwein, ist Mijas bester Freund.
Die beiden tollen im Wald umher und Okja rettet Mija auch schon mal das Leben am Berghang – Lassie lässt grüssen.
Die schönste Sau soll sterben
Okja ist allerdings eines von 26 weltweit verteilten Promotieren, welche die New Yorker Mirando-Company als neue Fleischlieferanten für die Menschheit gezüchtet haben will.
Und nun kommt der Tag, an dem sich Mija von ihrer Freundin Okja trennen soll. Als schönste Supersau soll sie in New York zur Lancierung der neuen Fleischproduktion prämiert werden.
Actionszenen auf dem Supernasen-Niveau
Es folgt der Auftritt der Oeko-Terroristen von ALF, der Animal Liberation Front – geführt von Paul Dano und bestückt unter anderem mit Steven Yeun (Glenn von «The Walking Dead») und Lily Collins.
Das führt zu einigen spektakulären Lastwagen- und Shopping Mall Stunts mit dem riesigen CGI-Tier. Es bleibt im komischen Tonfall immer irgendwo auf «Supernasen»- oder Jackie-Chan-Niveau.
Tilda Swinton bleibt unverwechselbar
Bis zu diesem Zeitpunkt ist Okja ein überdrehter Kinderfilm, eingestimmt durch einen völlig überdrehten Auftritt der stets unverwechselbaren Tilda Swinton als CEO der Mirando-Company.
Aber mit den Szenen in New York kippt die Stimmung. Okja wird in einem Labor getestet, misshandelt und von einem Super-Eber vergewaltigt. Die ALF-Leute filmen jedoch alles mit einer Kamera, die sie ihr unters flappige Ohr geklebt haben.
Kaspereien für den asiatischen Markt
Hier ist diese Netflix-Produktion zwar nicht mehr kindertauglich, wird dadurch aber weder unterhaltsamer noch konsistenter im Ton.
Die Kaspereien der exzellenten Darsteller mögen dem asiatischen Markt geschuldet sein und funktionieren in Südkorea garantiert besser als beim eher konsternierten Autorenfilm-Publikum in Cannes.
Geschmackloser Schweine-Holocaust
Vollends aus den Schienen springt der Film dann allerdings, wenn Bong Joon Ho die riesige Schlachtanlage für die Superpigs als eigentlichen Schweine-Holocaust inszeniert, komplett mit hohen Elektrozäunen und einer an KZ-Anlagen erinnernden endlosen Einpferchung.
Der resultierende Horror mag einen zum temporären Vegetarier machen, dann aber überwiegt der Degout über den geschmacklosen, pietätlosen Einsatz bekannter Bildmotive.
Erstklassige Computergrafik
Und der wird dann gleich noch einmal aufgeheizt mit dem seltsam angeklebten Happy-End, zurück bei Korea-Alpöhi mit Okja, Mija und einem geretteten und adoptierten Frischling.
Das ist eine teure und auf verschiedene Märkte abzielende Grossproduktion mit internationaler Besetzung und erstklassiger Computer-Grafik.
Aber selbst Tilda Swinton als ihr eigener böser Zwilling kann die Kiste für ein nur halbwegs anspruchsvolles Publikum nicht retten.
Viel Lärm um nichts?
Wenn dieser Film der Anlass war für die Netflix-Kontroverse des Festivals mit den französischen Filmverleihern und Kinobetreibern, dann kann man nur noch sagen: Tant de bruit pour une omelette?
Aber vielleicht erweisen sich ja Noah Baumbachs Meyerowitz-Stories, der zweite Netflix-Film im Wettbewerb, am Sonntag als publikumstauglicher und damit als würdigerer Stein des Anstosses.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.5.2017, 7.20 Uhr.