Ich muss zugeben: Ich habe noch nie einen Film aus Bangladesch gesehen. Was habe ich verpasst?
Kamar Ahmad Simon: Wahrscheinlich basiert Ihr Bild von Bangladesch auf Zahlen und medialen Fakten, die sie gelesen haben. Wir alle sind gefangen in den medialen Inhalten, die wir konsumieren. Ich selbst ignoriere daher auch die Schweizer Kultur – aber es ist wichtig, über den Zaun zu schauen.
Was Sie bisher verpasst haben, sind die Leute Bangladeschs, ihre Gesichter, die Porträts, die Nahaufnahmen. Darum geht es in meinen Filmen.
In was für Gesichter blicke ich in Ihren Filmen?
Aus meiner Perspektive sehe ich Nachbarn, und Menschen. Wenn ich Leute ausserhalb von Bangladesch betrachte, sehe ich erstmal Fremde, Leute, die ich nicht kenne – so wie es umgekehrt Ihnen geht.
In meinen Filmen werden Sie aber in den Gesichtern erkennen: In Bangladesch leben auch Menschen, vielleicht sogar Nachbarn.
Das mediale Bild von Bangladesch ist vor allem geprägt von Überflutungen, Überbevölkerung und Missständen in der Textilindustrie ...
... und mein Bild der Schweiz besteht aus Geld und Banken. Als ich hierher kam, war ich positiv überrascht, wie freundlich die Menschen sind – und wie gut das Essen und der Wein schmecken.
Ein weiteres, vielleicht falsches Bild von Bangladesch: Als Filmemacher ist es dort nicht einfach.
Wenn man nicht kommerzielle Filme machen oder mit den grossen Studios zusammenarbeiten will, ist es tatsächlich nicht leicht. Aber unabhängige Filme zu machen, ist überall auf der Welt schwierig.
Die Filmindustrie in Bangladesch existiert etwa seit den 1950er-Jahren. Es war eine blühende Industrie – bis etwa in die Neunziger. Im Zuge der Globalisierung haben Bollywood und Hollywood unsere Industrie stark geschwächt.
War das eine gute oder schlechte Entwicklung für Sie als unabhängigen Filmemacher?
Kommerzielles und unabhängiges Kino können gut nebeneinander existieren. Wenn jedoch die kommerzielle Industrie im Land verschwindet, verlieren wir unabhängigen Filmer auch Leute, Fähigkeiten und Institutionen.
Das ist auch schlecht für mich. Wenn ich einen Sound-Designer brauche oder einen Kameramann – dann ist das ohne kommerzielle Industrie vor Ort plötzlich viel schwieriger. Momentan müssen wir viel improvisieren – und das verzögert alle unsere Projekte.
Wie wird man eigentlich Regisseur in Bangladesch?
Es gibt keine Filmschulen in Bangladesch. Neuerdings bieten kleine Institutionen Kurse an, das sind aber keine Filmschulen im traditionellen Sinn. Ich persönlich habe Architektur studiert, verliebte mich aber in das Kino. Also habe ich mir vieles selbst beigebracht und viel experimentiert, bis ich sicher war: Jetzt kann ich einen richtigen Film machen.
Werden Ihre Independent-Filme denn geschaut in Bangladesch?
Mein letzter Film «Are you listening!» lief an vielen Festivals und gewann verschiedene Preise. Darum interessierte er plötzlich auch die Medien in meinem Heimatland.
Ausserdem zeigten einige Kinos diesen Film – etwas, was bis dahin bei einem Independent-Film noch nie vorgekommen war. Eigentlich war er für eine Woche eingeplant, lief dann aber fünf Wochen.
Für alle, die sich nun mit dem Filmschaffen aus Bangladesch auseinandersetzen wollen: Welche Filme muss man gesehen haben?
Ich schäme mich für diesen Vorschlag, aber ich würde meinen Film «Are you listening!» vorschlagen, um die echten Leute von Bangladesch kennen zu lernen. Den anderen Film, den ich unbedingt empfehlen würde, ist «Matir Moina (The Clay Bird)» von Tareque Masud, der auch in Cannes lief.