Sein erster Spielfilm löste 1991 in den USA eine Kontroverse aus. In «Poison» hinterfragt Regisseur Todd Haynes die traditionelle Wahrnehmung von Homosexualität. In einer der ersten Szenen heiraten etwa zwei schwule Häftlinge.
Konservative Politiker protestierten – auch weil der Film öffentliche Fördergelder erhalten hatte. Ein Journalist bezeichnete Haynes als «Fellini der Fellatio».
«Endlich konnte ich über den Film sprechen»
«Ich werde wohl nie eine bessere Schlagzeile erhalten», scherzt Todd Haynes beim Publikumsgespräch am Filmfestival Locarno. Hier wurde er am Montag mit einem Ehren-Leoparden ausgezeichnet. Dies 26 Jahre nachdem «Poison» im internationalen Wettbewerb des Festivals lief.
Damals gewann er in Locarno keinen Preis – der Regisseur war aber trotzdem glücklich, sein Werk in Europa zeigen zu können: «Ich war begeistert, endlich über den Film an sich sprechen zu können», erinnert sich Haynes.
Spiel mit den Genres
«Poison» gilt heute als wegweisender Film des «New Queer Cinema» der frühen 1990er-Jahre, das sich auf neue Art mit LGBT-Themen befasste. Und der Film zeigt exemplarisch Todd Haynes’ Lust am Spiel mit den Genres: Er erzählt die drei Geschichten in Form eines News-Berichts, eines Horror-Films beziehungsweise eines romantischen Dramas.
Diese Experimentierfreude zieht sich durch all seine Filme. «Velvet Goldmine» (1998) ist ein chaotischer Tribut an den Glam-Rock der 1970er-Jahre.
«Far From Heaven» (2002) ist eine Hommage an die 1950er-Melodramen des deutschen Hollywood-Regisseurs Douglas Sirk. Im Biopic «I’m Not There» (2007) verkörpern fünf verschiedene Schauspieler den Folk-Poeten Bob Dylan, darunter Cate Blanchett.
Film über «The Velvet Underground»
«Ich suche immer die Form, die zum Kern der Geschichte und meines Subjekts gelangt», erklärt Todd Haynes im Interview seine Stilvielfalt. «Davon lasse ich mich leiten.»
Das will er auch in seinen nächsten Projekten tun. Neben einer Fernsehserie für Amazon plant er einen Film über die einflussreiche Rockband «The Velvet Underground».
Es soll sein erster Dokumentarfilm werden. «Die Herausforderung wird sein, die Musik zu visualisieren», erklärt er. Denn Filmmaterial zur Band gebe es fast keines.
Film für ein neues Publikum
Zunächst gilt Todd Haynes’ Aufmerksamkeit allerdings seinem aktuellen Film «Wonderstruck», den er in Locarno vorstellt. Wie damals «Poison» vereint auch er verschiedene Formen: Die eine Geschichte, die 1977 spielt, hat Haynes in farbigen Bildern gefilmt. Die andere, die fünfzig Jahre früher angesiedelt ist, in Schwarzweiss.
Der Film basiert auf einem Roman von Kinderbuchautor Brian Selznick. Für Todd Haynes war das nicht nur eine Gelegenheit, eine weitere filmische Form auszuprobieren. Er wollte damit auch ein Publikum erreichen, das er bisher noch nie angesprochen hatte: die Kinder.
Neue Begeisterung für die Filme der Kindheit
Die Romanvorlage erinnerte ihn an Filme seiner eigenen Kindheit wie «Sounder» oder «The Miracle Worker». Für diese habe er sich erneut begeistert, erzählt Todd Haynes.
In der Nostalgie von «Wonderstruck» widerspiegelt sich seine eigene Nostalgie: «Es war eine Reise zurück zu Filmen, die mich bewegt und geformt haben, und wegen denen ich Regisseur werden wollte.»