Ganz am Anfang sieht man Kinder, die Parolen gegen Assad skandieren: Eine Schulklasse, die auf die syrische Revolution eingeschworen wird. Dann sieht man ihre Eltern, die auf den Strassen von Homs und Damaskus kämpfen. Und zuhause kämpfen sie mit dem Mühen des strapaziösen Lebens in Syrien.
Die «alltägliche Revolution»
Wie sieht der syrische Bürgerkrieg jenseits der Newsbilder aus? Einer der ersten Wettbewerbsfilme beim Filmfestival Locarno liefert eine Innensicht: «During Revolution» von Regisseurin Maya Khoury berichtet zweieinhalb Stunden von den Menschen und ihrem Alltag.
Das Dokument liefert keine chronologische Darstellung der Ereignisse – und auch keine Erklärungen oder Einordnungen. Der Film zeigt viele Fragmente der revolutionären Mühen.
Khoury zeigt die «alltägliche Revolution» in Wohnungen, in Küchen, Wohnzimmern. Sowie in Spitälern, wo Verletzungen notdürftig versorgt werden – und Hoffnungen auf ein gutes Ende langsam sterben.
«Kontext ist unser Feind»
Von Syrien in alltäglichen Fragmenten zu erzählen, ist die Strategie des Filmkollektivs «Abounaddara». Es ist ein Zusammenschluss unabhängiger professioneller Filmschaffender, zu denen auch Maya Khoury gehört. Sie ist nicht nach Locarno gekommen: Wie die meisten Mitglieder des Filmkollektivs hat sie von Anfang an entschieden, «undercover» zu arbeiten.
Charif Kiwan, Produzent und Sprecher des Kollektivs, erklärt das bruchstückhafte Erzählen der Filmemacherin. «Kontext ist unser Feind», meint er pointiert. Die Realität und die Fronten in Syrien seien viel zu verworren und kompliziert, um die Situation schlüssig einzuordnen.
«Abounaddara» zieht es daher vor, Widerstand mit filmischen Mitteln zu leisten. «Wir sind keine Journalisten. Unser Geschäft ist es nicht, die Aktualität zu erklären. Wir schaffen mit filmischen Mitteln etwas, das einen eigenen Sinn hat.»
Filmische Splitter des Kriegsalltags
Tatsächlich ist «Abounadarra» inzwischen weit über Syrien hinaus berühmt. Die Kurzfilme des Kollektivs haben diverse Preise gewonnen. Verlässlich kann das Publikum jeden Freitag auf der offiziellen Website oder über das Portal «Vimeo» einen neuen Film sehen. Es sind Dokumente des syrischen Alltags, die wir in den Nachrichten so nicht zu Gesicht kriegen.
Die Filmemacher zeigen ihre Nachbarn, ihre Freunde und Familien, sehr nah und sehr persönlich – immer ohne Kommentar. Die Menschen berichten, was ihnen im Bürgerkrieg widerfahren ist: Folter, Gefangenschaft, Erniedrigung.
Ein Clip zeigt, wie ein Junge die Jacke seiner Schwester aus Kriegstrümmern ausgräbt. Manchmal blickt «Abounaddara» sogar mit Humor auf den absurden Kriegsalltag: Zum Beispiel, wenn zwei Männer mit Hingabe eine Tür reparieren, die längst gar keine Funktion mehr hat.
Gegen medialen Voyeurismus
Das Kollektiv «Abounaddara» kämpft an zwei Fronten. Seine Filme zeigen einerseits, was die Menschen täglich zu erdulden haben: die Herrschaft von Assad und den Terror des sogenannten «Islamischen Staats».
Andererseits tritt «Abounaddara» aber auch gegen das «karikierende» Bild an, das im Fernsehen von Syrien vermittelt wird. Dort sieht man fast nur Verletzte, Verstümmelte und Tote. Tatsächlich versuchen die Menschen in Syrien aber weiterzuleben.
Die Filmemacher wollen die omnipräsente Gewalt spürbar machen. Allerdings ohne auf die stereotype Bildersprache der News zurückzugreifen, die bloss zu Voyeurismus führen. «Abounaddara» möchte den Menschen ihre Würde zurückgeben. Und mit den Filmen zeigen, dass Leben in Syrien noch immer möglich ist.