SRF: «Das Kongo-Tribunal», der Film zu Ihrem Theaterprojekt, verhandelt in einem Scheinprozess reale Fälle von Kongolesen, die unter Rohstofffirmen leiden. In Locarno war nun die Schweizer Premiere, im Kongo haben Sie den Film bereits gezeigt. Was waren Ihre Erfahrungen dort?
Für mich war es extrem beeindruckend, wie die Leute reagiert haben. Wir haben den Film in Grossstädten gezeigt, aber auch in Minendörfern, wo unsere Fälle angesiedelt sind.
Dort haben wir die Betroffenen wieder getroffen. Fazit: Es ist noch viel schlimmer geworden, die Vertreibungen sind weitergegangen, einige unserer Experten sind verschwunden. Das Bedürfnis der Leute, dass dieses symbolische Tribunal zum Anstoss wird für eine wirkliche Wirtschaftsgesetzgebung im Kongo, ist riesig.
Ist es also fast wichtiger, dass dieser Film im Kongo gesehen wird als hier?
Ich denke, das spielt keine Rolle. Der Film heisst «Das Kongo-Tribunal», er könnte aber auch «Das Schweiz-Tribunal», «Das USA-Tribunal» oder «Das Europa-Tribunal» heissen. Der Kongo ist das Beispiel, aber es geht um ein Welt-Unrechtssystem: den Rohstoffhandel.
Da steckt die Schweiz unglaublich mit drin, 80 Prozent aller Rohstoffe werden bei uns gehandelt. 80 Prozent alles Goldes wird bei uns raffiniert. Warum stehen diese Raffinerien nicht im Ost-Kongo? Warum dürfen wir das Zwanzigfache des Wertes abschöpfen und nicht die Kongolesen?
Solche Fragen wirft der Film auf. Jetzt brauchen wir politische Antworten, wir brauchen ein «Kongo-Tribunal» – nicht im Kongo, sondern in der Schweiz.
Was kann der Film im Kongo bewirken?
Der Film hat eine Unmöglichkeit möglich gemacht. Der Gouverneur musste demissionieren, die Minister sind auch weg. Die Leute haben gesehen: Man kann Dinge ändern.
Jetzt muss man aufpassen, dass es nicht einfach einige Sündenböcke sind, die entlassen werden. Das Problem ist eher, dass es überhaupt kein Rechtssystem gibt. Diese Politiker, diese Rohstoffhandelsfirmen haben kein Unrechtsbewusstsein, weil niemand sie anklagt.
Und jetzt hat man gezeigt: Was ihr tut, ist kriminell. Ihr werdet angeklagt, ihr werdet entlassen. Und ich glaube, dieses Symbol ist nicht mehr wegzubringen.
«Das Kongo-Tribunal» war zunächst ein Theater. War es immer auch Ihre Absicht, einen Film zu produzieren?
Wir wollten von Anfang an einen Film machen, einfach weil das Projekt riesig ist. Diese Leute auf die Bühne zu bringen – es sind alles echte Akteure, alles echte Fälle - und das dann nicht aufzuzeichnen, wäre absurd.
Aber natürlich: In einem Land, in dem du nicht mal eine Glühbirne zum Glühen bringen kannst, mit sieben Kameras ein Tribunal mit tausend Leuten zu drehen, das war so grössenwahnsinnig, dass ich dachte: «Das wird nicht klappen.» Aber wir haben einfach immer weitergemacht und am Schluss gibt es jetzt diesen Film.
Ist es die Freiheit der politischen Kunst, weiter zu gehen als es in Realität mit juristischen und politischen Sachzwängen möglich ist?
Auf jeden Fall. Schon rein aus pragmatischen Gründen. Wenn du in den Kongo gehst als Politiker und sagst: «Ich mache jetzt ein Tribunal gegen die kongolesische Regierung», dann bist du zwei Stunden später tot. Wenn du sagst, du machst ein Theaterprojekt, dann denken die Leute: «Das ist eh irrelevant.»
Der andere Grund für mich ist, dass das Theater auch ein Ort ist, an dem sich die Realität zeigen kann. Alle sagen: «Das ist so kompliziert, man kann das alles nicht nachweisen, es gibt zu viele Akteure» – und dann schafft man einen Raum, in dem all diese verstreuten Teile, diese Schuld-Partikel plötzlich zusammenkommen. Dann denkt man: «Wow, so sieht also das ganze Bild aus.» Das kann die Kunst.
Wird der Kongo nun für Sie zum Lebensprojekt?
Ich denke, dass es tatsächlich zum Lebensprojekt wird, ob ich das nun will oder nicht. Als Schweizer, als Hauptprofiteur des Rohstoffhandels, ist es das sowieso. Selbst wenn ich es nicht als mein Lebensprojekt ansehe.
Natürlich hat man die Hoffnung, dass irgendwann die Weltrevolution stattfindet und dann gerechte Verhältnisse herrschen. Aber so ist es nicht und ich werde mich damit weiterbeschäftigen, solange ich lebe.
Das Gespräch führte Barbara Peter.