«Kreuzfahrtschiffe, immer mehr und immer grössere Kreuzfahrtschiffe!» Die Idee einen Film über die riesigen Touristenvehikel zu drehen, hatte Corina Schwingruber Ilić vor einigen Jahren in Dubrovnik. Seit fast zwei Dekaden zieht es die Luzernerin regelmässig in die kroatische Küstenstadt.
Um tiefer ins Thema einzudringen, reiste die Kurzfilmerin dann in die Stadt, die am meisten unter Kreuzfahrschiffen leidet: Venedig. Nun, zwei Jahre später, ist die Regisseurin zurück in der beliebten Lagune: Ihre Dokumentation «All Inclusive» hat als einziger Schweizer Film den Sprung in die Festivalselektion «Orizzonti» geschafft.
Schrecklich amüsant
Mit «All Inclusive» fängt die 37-Jährige den Kreuzfahrt-Alltag in seiner ganzen Absurdität ein. In kunstvoll gewählten Einstellungen sehen wir, wie sich wohlhabende Passagiere fast schon zwanghaft amüsieren.
Das überbordende Unterhaltungsangebot animiert die Reisenden zu Aktivitäten, die nüchtern betrachtet geradezu wunderlich wirken – etwa rhythmisches Servietten-Schwingen oder Polonaise-Tänze durch den Speisesaal.
Auf einen einordnenden Kommentar hat Corina Schwingruber Ilić in «All Inclusive» bewusst verzichtet. Das Publikum soll selbst darüber reflektieren, wie die denkwürdigen Bilder zu interpretieren sind.
Ein schwimmender Spiegel der Gesellschaft
Den gesellschaftskritischen Charakter der zehnminütigen Doku wird trotzdem kaum einer übersehen. Wie die Regisseurin betont, tritt auf hoher See besonders klar hervor, wer wir sind:
«Für mich widerspiegelt eine Kreuzfahrt unsere Gesellschaft. Es ist ein Mikrokosmos auf einem riesigen Gefährt. Die Armen arbeiten für die Reichen und die Mittelschicht. Man wird nonstop unterhalten. Das Konsumverhalten auf einem Kreuzfahrtschiff kann kaum getoppt werden.»
Unendlicher Spass
Wer das Werk von Schriftsteller David Foster Wallace kennt, wird in Corina Schwingruber Ilić eine Schwester im Geiste erkennen. «All Inclusive» wirkt wie eine Bebilderung dessen, was der Amerikaner 1997 über Kreuzfahrtschiffe geschrieben hat.
Sogar das Cover von «Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich» erinnert stark an den neusten Wurf der Kurzfilmerin. Darauf angesprochen lacht die Luzernerin und kommt sogleich ins Schwärmen: «Ich habe David Foster Wallaces Buch im Zuge meiner Recherche tatsächlich gelesen. Seine pointierten Beschreibungen kommen dem, was ich später an Bord erlebt habe, extrem nahe.»
Der kalte, beobachtende Blick
Eine andere Inspirationsquelle sind die Filme des Österreichers Ulrich Seidl. Kameraschwenks gibt es in «All Inclusive» keine. Stattdessen setzt Corina Schwingruber Ilić wie Seidl auf die hypnotische Wirkung von Tableaus. Also Aufnahmen, bei denen die Kamera dem Geschehen starr gegenübersteht.
Als Hommage an Seidl möchte Schwingruber Ilić «All Inclusive» dennoch nicht verstanden wissen: «Ich werde oft gefragt, ob ich Seidl kopieren oder zitieren wolle. Klar bewundere ich sein Werk und seine Bildästhetik. Mit Tableaus arbeite ich aber bereits seit meinem Diplomfilm. Mir gefällt einfach der Stil an sich: Der kalte, beobachtende Blick... von aussen nach innen.»
Heidis Sound macht Corina happy
Bemerkenswert an «All Inclusive» ist aber nicht nur ihre Bildsprache. Um die Künstlichkeit der Atmosphäre an Bord zu unterstreichen, entschied sich die Regisseurin für eine radikale Neuvertonung.
95 Prozent dessen, was wir im Film hören, ist im Studio entstanden. Unterstützt wurde Corina Schwingruber Ilić von der Sängerin Heidi Happy, mit der sie eine langjährige Freundschaft verbindet. Die renommierte Musikerin spielte dafür auf einem Synthesizer-Keyboard generisch klingende Unterhaltungsmusik im Stile der 90er Jahre ein.
Meine zwei Wochen auf hoher See waren furchtbar!
Die Neuvertonung besass aber nicht nur einen künstlerischen Aspekt. Um die Rechte der Evergreens zu sichern, die in Wirklichkeit auf den Kreuzfahrtschiffen liefen, fehlte der Filmemacherin schlicht das Geld.
Nie wieder Luxusdampfer
Mit dem Ergebnis ist Corina Schwingruber Ilić zurecht höchst zufrieden. Einen weiteren Aufenthalt auf einem Luxusdampfer möchte die Luzernerin in absehbarer Zeit trotzdem vermeiden: «Kreuzfahrten? In Zukunft definitiv ohne mich! Ich kriege schon eine Krise, wenn ich die Riesen von weitem sehe. Meine zwei Wochen auf hoher See waren furchtbar!»
Von Kreuzfahrtschiffen für immer Abschied nehmen wollen übrigens auch die Bewohner Venedigs. Ihr Widerstand trägt nun erste Früchte: Ab 2019 dürfen die Kolosse nicht mehr am Markusplatz vorbeifahren.