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Filmfestival Venedig Eine schmerzhafte Metamorphose vom Mann zur Frau

«The Danish Girl» erzählt die Biografie der Malerin Lili Elbe. Als Mann geboren, wächst in Einar Wegener das Verlangen, seine innere Identität als Frau auch äusserlich zu leben. Ein konventionell gedrehtes, aber starkes Drama über eine der ersten Geschlechtsumwandlungen überhaupt.

Sie wird gefeiert als Pionierin der Transgender-Bewegung: die Dänin Lili Elbe. Dabei war sie keine Kämpferin für ihre Sache, keine Gründerin einer Bewegung. In Tom Hoopers Biopic ist Lili Elbe zunächst Einar Wegener (Eddie Redmayne). Er ist ein verheirateter Mann, der in einem langen Prozess entdeckt, dass er, beziehungsweise sie, im falschen Körper steckt.

Dieser Prozess ist schön, aber vor allem leidvoll. Einar kann die seelische Veränderung schliesslich auch körperlich vollziehen. Allerdings nur dank seiner Ehefrau (Alicia Vikander), die ihn nicht nur begleitet, sondern auch einen Leidensweg durchmachen muss – dank weltoffenen Freunden und einem deutschen Arzt.

Video
Trailer «The Danish Girl»
Aus Kultur Extras vom 05.09.2015.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 35 Sekunden.

Wie das Spiel zur Notwendigkeit wird

Tom Hoopers Film kämpft im Wettbewerb von Venedig um den Goldenen Löwen. Er ist sehr konventionell erzählt, eine wunderbar ausgestattete Geschichte aus den 1920er-Jahren. Aber konventionell muss nicht langweilig oder gar schlecht heissen: «The Danish Girl» ist ein Film, der mit grosser Akribie zu ergründen sucht, was in den beiden Menschen vorgeht.

Der Film lotet Einars Spiel mit den Geschlechteridentitäten aus, zeichnet nach, wie das anfängliche Spiel zur Notwendigkeit wird, wie plötzlich nicht mehr «Lili» die Verkleidung ist sondern «Einar», und wie dieser langsam verschwindet. Aber auch seine Ehefrau, die Malerin Gerda Gottlieb, steht neben Einar/Lili im Zentrum dieses Films. Ihr entgleitet der geliebte Ehemann.

Das Lächeln spiegelt die Seele

Gerda reagiert zunächst mit Belustigung, regt das, was ihr wie ein Spiel vorkommt, zunächst an, reagiert später mit Wut, mit Trauer, Verzweiflung: Aber auch sie findet eine Lösung, sich von Einar zu verabschieden und sich mit Lili zu versöhnen. Sie malt Lili wieder und wieder.

Der Film versucht gar nicht erst, aus Lili eine Gallionsfigur der Transgenderbewegung zu machen – sie bleibt die unsichere Person, Frau im Männerkörper gefangen. Immer wieder sieht man Einar sich in spiegelnden Flächen anschauen, wo er Lili wird, Lilis Bewegungen übt, sich anlächelt. In diesem Lächeln (darin ist Schauspieler Eddie Redmayne umwerfend) sieht man die ganze Erleichterung und Freude, endlich Frau sein zu dürfen.

Brillant gespielt

Ein Film, der so nah an seinen Figuren ist, so intensiv zwei Entwicklungsgeschichten begleitet, die Anatomie einer Beziehung seziert, ist auf gute Darsteller angewiesen. Da brillieren in den Rollen von Einar/Lili und Gerda Eddie Redmayne und Alicia Vikander.

Ihr Spiel ist grossartig und überzeugend. Wenn Gerda in einer Szene verzweifelt vor Lili steht und sagt «Wo ist Einar? Ich brauche jetzt meinen Ehemann!» und Lili nur den Kopf schüttelt, dann wird klar, wie tiefgreifend diese Metamorphose für alle Beteiligten ist.

In der Rolle als Arzt Kurt Warnekros ist übrigens der deutsche Schauspieler Sebastian Koch zu sehen.

Oscarreife Dramaturgie

Natürlich schraubt Tom Hoopers Biopic, wie alle «true stories» manchmal ganz gehörig an der Geschichte herum, lässt die Dänen englisch sprechen und lässt Gerda den ganzen Weg Lilis bis zur Operation begleiten (in Wirklichkeit war sie schon längstens wieder verheiratet und in Marokko, als sich Lili der Operation in Dresden unterzog).

Aber das ist der Dramaturgie grossen Gefühlskinos geschuldet – und genau die macht diesen Film wohl zu einem der Oscar-Kandidaten nächstes Jahr. Ob er hier in Venedig allerdings Löwenchancen hat, ist eher zu bezweifeln, dafür ist «The Danish Girl» dann doch zu konventionell gemacht.

Kinostart: 07.01.2016

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