Es gibt wohl keinen dramatischeren Berg als den Mount Everest. Der isländische Regisseur Baltasar Kormákur hat in seinem Multistar-Drama «Everest» den höchsten Berg der Welt zum Hauptprotagonisten gemacht. Der Film hat die wahre Geschichte einer gründlich missglückten Expedition von 1996 als Grundlage.
In 3D gedreht, bringt der Film auch den Zuschauern die Faszination und Sogwirkung dieses Kolosses im Himalaya näher. Die Kamera begleitet zu Beginn die Expeditionsgruppe auf ihrem Weg zum Basislager, fliegt durch Täler, schwebt über Hängebrücken.
So majestätisch wie lukrativ
Schliesslich zeigt sie den majestätischen Berg hinter dem riesigen Basislager. Da versteht man auch im Kino, warum dieser Berg eine dermassen grosse Anziehungskraft hat.
Dann aber ist fertig mit Expeditionsidylle – Regisseur Kormákur zeigt in erstaunlich unsentimentaler Manier den Wahnsinn am höchsten Berg der Welt.
Es ist 1996 und der Everest ist längstens Garant für höchst lukrative Geschäfte geworden: Mehrere professionelle Unternehmen bringen zahlungswillige Touristen auf den Gipfel, manchmal wollen drei und mehr Seilschaften am gleichen Tag hoch.
Nicht einfach nacherzählt
«Everest» ist die Geschichte der zwei Bergführer Rob Hall (Jason Clarke) von Adventure Consultants und Scott Fischer (Jake Gyllenhaal) von Mountain Madness. Sie schlossen sich 1996 zusammen, um ihre Gruppen auf den Gipfel zu bringen. Ihre Expedition endete in einer Katastrophe.
Es gibt mehrere Bücher über diese Expedition. Baltasar Kormákur erzählt nicht einfach eines davon nach. Er hat gründlich recherchiert, um, wie er an der Pressekonferenz sagte, «möglichst viele Perspektiven auf das Drama zu werfen».
Grosses Bergkino mit kleinen Menschen
Keine der Figuren steht dominant im Zentrum des Films, auch Star Jake Gyllenhaal nicht und schon gar nicht die beiden Frauen Keira Knightley und Robin Wright. Diese haben als zuhause gebliebene Frauen sehr undankbare Rollen in diesem Drama.
Hauptdarsteller ist sowieso der unerbittliche Berg Everest, der die Menschen manchmal wie Ameisen abwirft und sie nicht mehr hergibt. Das ist grosses Bergkino, unglaublich dramatisch und spannend, nie aber beherrscht von zu viel hollywoodscher Dramatik.
«Warum macht ihr das?»
Kormákur zeigt seine Figuren als sympathische, aber ehrgeizige Bergsteiger. Kollegial, aber auch egoistisch auf ihr ganz persönliches Gipfelziel fixiert – jeder für sich. Der mitkletternde Journalist Jon Krakauer (sein Buch «In eisigen Höhen» ist eine der Quellen) fragt einmal in die Runde: «Warum macht ihr das? » Und da bleibt es erst einmal still.
So richtig kann keiner diese Lust, sich der Gefahr und dem Leiden in grosser Höhe auszusetzen, erklären. Aber die Bergsteiger gehen dafür sprichwörtlich über Leichen: Bei einem Übungsaufstieg geht die ganze Gruppe fast achtlos an einem halb eingeschneiten Toten vorbei.
Die Toten bleiben liegen
In dieser kurzen Szene entlarvt der Film ein erstes Mal den ganzen egoistischen Wahnsinn, der sich abspielt am Berg. Wegen zu grosser Höhe können nicht einmal die Toten per Helikopter geborgen werden. Sie bleiben einfach liegen.
Der Berg als riesiger Friedhof für mittlerweile rund 300 Tote, abgestürzt, an Höhenkrankheit oder sonstigen gesundheitlichen Beschwerden gestorbenen. Am Ende des Films «Everest» werden es ein paar mehr sein.
Kinostart: 17.9.2015