Martin Tillman, haben Sie eine Liste mit Kriterien, um die Filmmusik der Finalisten zu beurteilen?
Martin Tillman: Es gibt keine Liste. Ich höre darauf, ob die Musik das unterstützt, was sie sollte – den Film. Und vielfach ist das eine Frage des Gefühls.
Aber ich schaue auch darauf, was wir «im Normalfall» entscheiden würden. Und dazu gehört sicher das Technische und die Herangehensweise des Komponisten. Ist es kompliziert? Ist es orchestral oder ist es elektronisch? Es gibt also schon Kriterien, aber die stehen nicht auf einer Liste und die verändern sich auch mit jedem Projekt.
Was macht denn eine gute Filmmusik genau aus?
Ich sage immer: Die beste Filmmusik ist die, bei der man sich nicht daran erinnern kann, ob überhaupt Musik da war. Es geht ja im Film um eine Geschichte. Ich glaube, die beste Musik unterstützt vor allem die emotionale Ebene, sie vertieft die Geschichte und sie hilft, das Tempo im Film zu halten.
Dann gibt es Filme wie «Flashdance» oder «Frozen»: Das sind Geschichten, die eher wie ein Musikvideo funktionieren, da stehen natürlich die Songs im Vordergrund. Aber ich würde sagen bei 99 Prozent aller Filme ist es die Aufgabe des Komponisten, dem Regisseur zu helfen, die Geschichte zu erzählen.
Sie haben vorher gesagt «Normalfall». Es gibt also bei Filmmusik klare Regeln und Konzepte?
Ich denke, besonders Blockbuster aus Hollywood richten sich sehr stark nach Konzepten und Schemen: Bei Action-Szenen muss es so und so laut sein. Es braucht den Sound von Blechbläsern und ein gewisses Tempo, damit es immer funktioniert.
Da liegt auch der grosse Unterschied zwischen Filmmusik aus Amerika und dem Rest der Welt. Die Filmmusik in Amerika ist viel eher ein Gefühlsgenerator: Es wird so lange an der Filmmusik gefeilt, bis man die Emotionen des Publikums ganz genau steuern kann. Europäische Filmmusik ist dagegen viel eigenständiger und ist darauf bedacht, auch mal Kontraste zum Bild zu schaffen.
Man stellt sich bei Filmmusik immer gleich das Orchester und den Dirigenten vor der Leinwand vor und wie sie zum Film spielen. Entspricht das der Realität?
Nicht mehr so oft. Das Problem ist einfach, dass man früher mehr Budget hatte. Ich weiss noch, als wir die Musik für den Film «Indiana Jones» aufgenommen haben. Da hatten wir mit dem gesamten Orchester zwölf Tage Zeit im Studio, und wir hatten ein Budget von ungefähr 400'000 Dollar. Heute hat man – wenn es gut läuft – 20'000. Das heisst, man muss vieles künstlich und mit Computersoftware produzieren. Und vielleicht hat man dann noch genug Geld, um ein Orchester in Prag oder Budapest zu engagieren. Dieses spielt dann live darüber – damit es nicht ganz nach Plastik klingt.
Heute gibt es nur noch eine ganz kleine Gruppe von Komponisten, die sich das mit dem Orchester vor der Leinwand leisten kann.