Mit nur 21 Jahren wurde Sophie Scholl hingerichtet – wegen ihres Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Diesen Sonntag wäre sie 100 Jahre alt geworden. Der Bayrische und der Südwestdeutsche Rundfunk wollen die Geschichte der Widerstandskämpferin einem jungen Publikum näher bringen – über den Instagram-Kanal «ichbinsophiescholl».
Dort kann man Sophie Scholls Leben bis zu ihrer Hinrichtung für zehn Monate in Echtzeit mitverfolgen. Dafür wurde mit Schweizer Schauspielerinnen und Schauspielern gedreht: Luna Wedler und Max Hubacher sind in den Instagram-Beiträgen und -Storys zu sehen.
Ist diese Vermischung von Geschichte und Gegenwart sinnvoll? Der Geschichtsdidaktiker Hannes Burkhardt geht davon aus, dass das Publikum mit dem widersprüchlichen Setting umzugehen weiss.
SRF: Die Kostüme und das Setting in den Instagram-Stories sind historisch korrekt. Gleichzeitig filmt sich da eine junge Frau selbst und spricht zu den Leuten. Besteht da die Gefahr, sie zu sehr zu einer Zeitgenossin zu machen?
Hannes Burkhardt: Bei der Frage der historischen Korrektheit gibt sich dieses Projekt grosse Mühe. Man arbeitet ganz bewusst mit Quellen wie den Tagebüchern von Sophie Scholl oder mit Briefen.
Die andere Frage ist aber: Inwieweit wird der konstruierte Charakter von Geschichte deutlich? Inwieweit erkennen Schülerinnen und Schüler, dass sie es hier mit einem geschichts-kulturellen Produkt zu tun haben? Also dass es ein Versuch ist, Geschichte zu rekonstruieren, letztlich aber niemand mit diesem Instagram-Account in die Vergangenheit reisen kann. Sondern, dass sie einen gegenwärtigen Blick auf Geschichte geliefert bekommen.
Wird der Konstrukt-Charakter in diesem Projekt sichtbar?
Das denke ich schon – allein schon durch das Medium. Für jeden ist deutlich, dass Sophie Scholl nicht Instagram benutzt hat. Dass wir es hier mit einer Inszenierung zu tun haben, wo eine Schauspielerin Filme produziert und auf Social Media hochlädt.
Durch die verschiedenen medialen Brüche wird der Konstrukt-Charakter des Projektes sichtbar.
Den Konstrukt-Charakter macht auch deutlich, dass es bei dem Projekt neben Filmen auch Animationen gibt. Auch da entsteht ein ganz deutlicher medialer Bruch.
Genauso wie bei den partizipativen Elementen: Der Nutzer wird aufgerufen, selbst teilzuhaben an der Erinnerungskultur und diese Geschichtserzählung selbst mitzugestalten – zum Beispiel, indem ihm bei den Instagram-Storys Fragen gestellt werden. Durch diese verschiedenen medialen Brüche wird der Konstrukt-Charakter deutlich gezeigt.
Instagram ist ein soziales Medium. Wie wichtig ist da der Aspekt der Beziehung?
Einerseits wird über diese zehn Monate, in denen das Projekt läuft, sowas wie eine Beziehung aufgebaut – zum Kanal, aber auch zu der historischen Person Sophie Scholl. Wichtig ist: Die Beziehung besteht nicht zur historischen Person, sondern zu einem Kanal.
Mit der Nutzung des Kanals kann ich meiner Community zeigen, dass ich mich historisch beschäftige. Bei Social Media und in den Medienwissenschaften spricht man dabei auch von Identitäts-Management.
Das heisst, dass ich damit meiner Community zeigen kann, dass ich mich historisch interessiere, dass ich mich mit Sophie Scholl beschäftige.
Dieser Aspekt spielt auch eine Rolle: Bei allem, was Nutzer dort schreiben und kommentieren, muss man sich bewusst machen, dass es eben auch immer an die eigenen Nutzer Gemeinschaft und an die eigenen sozialen Beziehungen gerichtet ist.
Das Gespräch führte Sarah Herwig.