Erzählen, was in einem Film oder Buch passiert, ist heute schwer verpönt. Eine regelrechte Spoiler-Phobie hat um sich gegriffen. Der Filmwissenschaftler Simon Spiegel untersucht dieses Phänomen. Er hat auch die erste internationale wissenschaftliche Konferenz zu Spoilern mit-organisiert.
Erstmals taucht der Begriff «Spoiler» in einem US-Satiremagazin in den 1970er-Jahren auf. In den 1980ern verbreitet er sich in Newsrooms von Filmbegeisterten. Um die Jahrtausendwende dann, im damals noch jungen Internet, taucht der Spoiler schliesslich überall auf – und mit ihm die Angst davor.
Eine Angst, drei Gründe
Simon Spiegel macht drei Gründe für die Spoiler-Angst fest. Erstens: Die Reichweite und Schnelligkeit des Internets. In sozialen Medien wie Twitter oder Facebook verbreiten sich Mitteilungen rasant und sind so kurz, dass man sie gar nicht überlesen kann. Früher sei man bei einem Gespräch über Filme einfach weggelaufen oder habe die Filmrezension in der Zeitung überblättert, sagt Spiegel.
Zweitens: Die Erzählweise im Kino hat sich seit den 1990er-Jahren verändert. Filme setzten fortan vermehrt auf eine einzige überraschende Wendung. «The Sixth Sense» von M. Night Shyamalan oder «Fight Club» von David Fincher sind Beispiele dafür. Kenne man diesen Twist, sei der Film nicht mehr interessant, erklärt Simon Spiegel.
Drittens: Unsere Sehgewohnheiten haben sich verändert. Früher sahen wir die Filme ungefähr zur gleichen Zeit im Kino. Wir verfolgten eine Serie Folge für Folge zuhause am Fernseher. Videokassetten, DVDs und vor allem Streaming haben diese Sehgewohnheiten verändert. Die einen schauen einen Film nach seinem Release, andere warten erst mal zu. Manche bingen Serien am Stück, andere lassen sich Zeit. Und da werden Spoiler plötzlich teuflisch.
Ein Film ist mehr als sein Plot
Der Teufel steckt tatsächlich in der Begriffsgeschichte des Spoilers mit drin, wie Spiegel ausführt: «In der Bibel ist der Spoiler der Verderber – der Teufel. Der Spoiler ist aber auch ein Teil an Autos und Flugzeugen, das für mehr Aerodynamik sorgt.» Und stromlinienförmige Filme sind nicht spannend.
Für Simon Spiegel beruht die weitverbreitete Spoiler-Angst auf einem Missverständnis: «Ein Film besteht nicht nur aus Plot. Es gibt die Inszenierung, die Musik, das Schauspiel. Manchmal kann der Filmgenuss sogar grösser sein, wenn ich den Plot schon kenne und mich auf alle anderen Dinge konzentrieren kann.»
Eine Phobie und ihre Folgen
Die Spoiler-Angst hat auch Film- und Literaturkritik verändert. Nicht nur zum Guten, findet Spiegel. Besonders für die klassische Film- und Buchbesprechung sei es zum Problem geworden, dass man nicht mehr alles schreiben dürfe. «Eine klassische Rezension versteht sich nicht primär als Kaufempfehlung, sondern als Analyse. Die braucht die Erzählung des Inhalts.»
Der Spoiler als Marketinginstrument
Die Filmindustrie hingegen hat den gezielten Spoiler längst als Marketinginstrument entdeckt. Taucht etwa auf Instagram das Foto einer Schauspielerin auf, der sich am Set einer Serie befindet, wissen die Fans: Ihre Figur wird auch in der nächsten Staffel noch dabei sein.
Für den Filmwissenschaftler Simon Spiegel ist die Angst vor dem Spoiler ein interessantes Phänomen. Der Filmliebhaber könnte gut darauf verzichten. Er könne etwa auf Facebook gar nicht schreiben, warum ihn an einem Film dieses oder jenes begeistert habe, weil sich sicher irgendjemand darüber aufrege. Er könne nicht mehr frei darüber sprechen, was ihm am Herzen liege. Das sei ein Verlust.