Vordergründig ist August Crimp ein biederer Ehemann und Vater. Doch hat er ein Geheimnis: Er hat eine geheime Identität und liebt Frauenkleider. Diese verleihen ihm Flügel und Superkräfte – in Frauenkleidern wird August Crimp zu Dragman.
Seinem Doppelleben als Superheld in Frauenkleidern und Familienvater hat August Crimp jedoch abgeschworen, um sein Eheglück nicht zu gefährden – seine Frau verabscheut Superhelden. Als ein Serienmörder Transfrauen ermordet und ihre Seelen stiehlt, hat Crimp jedoch keine Wahl: Er muss wieder zu Dragman werden, um in bester Superheldenmanier die Welt zu retten.
Gleichzeitig muss er auch seine Ehe retten: Seine Frau stösst im Estrich auf einen Karton voller Frauenkleider und Superheldenutensilien.
Superhelden-Serienkiller-Science-Fiction
Dieser doppelte Konflikt ist der Auslöser für eine fulminante Geschichte, in welcher der Autor Steven Appleby munter Genres mischt und Plots verknüpft: Da gibt es die Superheldenparodie, den Serienkillerthriller, den Wissenschaftler, der die menschliche Seele entdeckt und kommerzialisiert. Und da gibt es das romantische Beziehungsdrama.
Das alles ist unterlegt mit Satire, philosophischem Sinnieren und Gesellschaftskritik. Umgesetzt mit viel Schwung in krakeligen und liebevoll karikierenden Zeichnungen.
Für Steven Appleby ist dieser humorvolle Genre- und Themenmix nichts Neues: Seit über 30 Jahren zeichnet der Brite skurrile Comic-Strips für Zeitungen und Zeitschriften und gilt als grosser Meister der kurzen Form. Neu ist, dass Appleby sich mit «Dragman» erstmals an die lange Form wagte: 300 Seiten umfasst seine Graphic Novel.
Transman wird zum Symbol für Selbstermächtigung
Den roten Faden von «Dragman» bildet die Superheldenparodie. Allerdings ist Appleby vor allem interessiert am metaphorischen Potenzial des Aussenseitertums und der doppelten Identität. Diese Metapher überträgt er raffiniert auf das Doppelleben vieler Transmenschen. Das Ausleben Crimps Trans-Identität wird zum Symbol seiner Selbstermächtigung.
Die restlichen Superhelden in der Graphic Novel tun sich jedoch schwer mit Gender Fluidity: Sie bezeichnen Dragman als «Perversling» und entziehen ihm seine Superhelden-Lizenz. Sympathisch sind diese Superhelden ohnehin nicht. Appleby karikiert sie als reaktionäre Exzentriker mit einem dubiosen Geschäftsmodell: Sie retten nur die Menschen, die eine Superhelden-Versicherung abgeschlossen haben.
Vom Doppelleben zur «Vollzeit-Transfrau»
Trotz des schrägen Humors trägt «Dragman» sehr persönliche Züge. Im Nachwort erzählt der heute 65-jährige Appleby, wie gerne er seit seiner Jugend Frauenkleider trägt. Lange tat er das heimlich. Seit 2007 sei er eine «Vollzeit-Transfrau» und lebt nach wie vor mit seiner Frau und seinen Söhnen.
Ähnlich lang und schwierig war die Entstehung von «Dragman»: Ganze 18 Jahre arbeitete Appleby an seiner ersten Graphic Novel, die auch eine Form von Coming Out darstellt.
LGBTQ mal surreal und satirisch
Deshalb unterscheidet sich «Dragman» deutlich von den zahlreichen aktuellen Graphic-Novels mit LGBTQ-Themen. Während diese oft alltagsnah oder autobiografisch sind, wählte Appleby den indirekten Weg einer surrealen und satirischen Fiktion, um dieses persönliche Thema zu verarbeiten.
Und Dragman? Nach unzähligen Verwicklungen und Wendungen rettet er viele Transmenschen und die Welt. Noch wichtiger ist aber, dass er sich seiner Frau gegenüber öffnet und lernt, zu seiner Identität zu stehen. Die wahre Superkraft ist es, mit sich im Reinen zu sein. Das vermittelt Steven Appleby in einer der rasantesten, klügsten und witzigsten Graphic Novels seit Langem.