Man kommt nicht daran vorbei. Der Tag Null im deutschen Fernsehen. Jener Sonntagabend, der 28. Juni 1981. «Tatort». Man findet sich in Duisburg wieder. Viele stellten da fest, dass es diese Stadt überhaupt gibt. Bis dahin waren Kommissare graue, präzise Mäuse.
Einer von ihnen
Dann kam Schimmi und nichts war je wieder wie vor diesem Sonntagabend. Unrasiert trinkt er zum Frühstück ein rohes Ei, dröhnt durch Duisburg, durch den abgefackelten trostlosen Hafen.
Nicht die Upper-Class-Killer der Münchner Vorstädte bilden das Personal, sondern die verlorenen, dreckigen und zugleich glücksuchenden Gestalten. Schimanski war einer von ihnen. Da fährt keiner den Wagen vor, Schimmi fuhr selber, durch Duisburg, durchs Leben.
Kein gebügelter Trenchcoat, sondern diese abgeschabte Jacke, die von da an nur noch Schimanski-Jacke hiess. Horst Schimanski prügelte, soff, liebte sich durch Tage und Nächte.
Schimanski war eine Lebensanschauung
Das war kein «eight-to-five-Kommissar», Schimanski war eine Lebensanschauung, eine Haltung. Er machte keinen Job, sondern sorgte für Gerechtigkeit. Von Männern, die Rot sehen, trennte ihn nur sein Dienstausweis.
Seine bessere Hälfte, Thanner, beflissen in Anzug, manchmal Fliege, war die andere Seite der gleichen Medaille. Der sah nur aus wie ein Sesselpupser, war aber keiner.
«Scheisse» wurde zum Terminus technicus für den Zustand der Welt. Treffender hätte man es auch nicht ausdrücken können als: «Scheisse.» Schimanski liess keinen Fettnapf aus. Auch das wurde zur Marke.
Da fiel der Kiefer der Fernsehnation
Der dritte im Bunde war Hänschen, der Assistent aus Holland. Was auf den ersten Blick nach Männerfreundschaft aussah, detonierte Jahre später. Da fanden sich die drei in Amsterdam wieder und Schimmi fluchte über dieses «Drecksholland».
Hänschen sagte: «Ja, wir haben uns 1940 auch alle gewundert, dass ihr einmarschiert seid.» Da stand Schimmi einen Augenblick stumm da. Und einer Nation fiel am Fernseher der Kiefer runter.
Der Ritt auf der Rasierklinge
Götz George konnte nicht nur das. Er hat in «Rossini» einen Filmregisseur gespielt im ach so gerne mondänen München. Der Prolet war weggeblasen. George spielte narzisstische Übersteuerung und Verlorensein zugleich.
Auch das konnte er wie kaum ein zweiter: Grösse und Lächerlichkeit so nah zusammenbringen. Man konnte sich nie zu lange sicher sein, ob einen seine Darstellung im nächsten Augenblick zu Tränen rührt oder zum Lachen bringt. Dasselbe gilt auch für «Schtonk».
Da spielt er den Journalisten, der sich die Hitler-Tagebücher andrehen lässt. Auch das ist eine Geschichte, die immer auf der Rasierklinge reitet, zwischen der Glückssuche einer kleinen Verlagsmaus und der Chance auf ein bisschen Grössenwahn. George konnte diese Figuren spielen, bei denen man Angst haben musste: Wehe wenn sie losgelassen.
Schlafwandlerisch sicher im Extrem
Bis dahin gab es für ihn nur eine Betriebstemperatur: Sie lag weit über 180. Das änderte sich. Der «Totmacher» war der Durchbruch in eine andere Welt. George spielte den Massenmörder Fritz Haarmann, der Jungen mit nach Hause nahm, liebte, ermordete, in Stücke schnitt, zum Teil ass, Körperteile im Fluss versenkte: «Weil’s durch den Abfluss nicht ging.»
Wie er diesen Mörder spielt, ist deshalb grossartig, weil er keine böse Figur vorführt. Er spielt dieses Monstrum aus seiner inneren Logik heraus. Der Schluss des Films endet im Schwarz einer Abblende.
Für den Schauspieler George weist dieser Schluss die neue Richtung. Da weiss die Figur, dass sie sterben wird. Man hört George nur noch atmen. Der Atem hört auf. Es war von da an nicht mehr die Frage, wie viel muss er machen, sondern wie wenig genügt.
Er muss nichts mehr sagen
Und so sehen wir Götz George von da an als jemanden, der sich an die Sprachlosigkeit spielt, dessen Figuren in eine Welt schauen, die nicht mehr die ihre ist. Das gilt für einen Alzheimerkranken, der sich langsam aus dieser Welt verabschiedet genauso wie für einen Staatsanwalt mit Krebsdiagnose und Lebenslüge.
Es gilt auch für Georges Darstellung in «Besondere Schwere der Schuld». Da kehrt er aus dem Gefängnis in seinen alten Wohnort zurück. Er geht langsam eine Strasse lang, alle schauen ihn an. Die Kamera folgt Georges Gesicht. Er spricht nicht mehr. Alles steht in seinem Gesicht geschrieben. Wir lesen darin und sind ihm dabei ganz nah. Dabei wird’s bleiben.