Die ersten vier Minuten dieses Films kommen völlig ohne Worte aus. Die ersten Bilder sind zunächst etwas befremdlich, entpuppen sich dann als Traumbegegnung mit einem Pferd. Die Kamera blickt dem Tier direkt ins Auge. Dann schreckt der träumende junge Mann auf.
Er sieht seltsam aus mit seinem blutigen Verband auf dem Kopf. Als er dann anfängt, vor dem Badezimmerspiegel mit einem grossen Jagdmesser die chirurgischen Klammern aus seinem Schädel zu pulen, wird einem leicht schwindlig. Man möchte sich am liebsten hinsetzen – dabei sitzen wir ja schon im Kinosessel.
Realistisch und symbolträchtig
«The Rider» ist der zweite Film der chinesischen Regisseurin Chloé Zhao. Die 36-Jährige stammt aus Peking, lebt und arbeitet unterdessen aber in Los Angeles. Die Anfangsszene ist – wie vieles an diesem erstaunlichen Zweitlingsfilm – realistisch und zugleich symbolträchtig überhöht.
Brady Blackburn ist nach seinem letzten Rodeo im Spital gelandet. Das Pferd, das ihn abgeworfen hat, hat ihn mit dem Huf am Kopf getroffen. Mit seinem Schädelbruch hätte Brady eigentlich im Spital bleiben sollen.
Rodeo als Ausweg
«The Rider» wirkt wie ein Dokumentarfilm. Das liegt natürlich daran, dass nicht nur der junge Brady Jandreau mehr oder weniger sich selber spielt, sondern auch sein Vater, seine Schwester und die meisten seiner Freunde im Pine Ridge Reservat in South Dakota.
Es ist ein karges Leben mit wenig Perspektiven – jedenfalls für jene, die mit minimaler Schulbildung im Reservat bleiben und sich auf das konzentrieren, was ein wenig lokalen Ruhm einbringen kann: das Rodeo.
Hoher Preis für kurzes Glück
In den schnellen, heissen Minuten auf dem Rücken der bockenden Tiere katapultieren sich Brady und sein bester Freund Jack für kurze Zeit in eine andere Welt.
Jack hat den Preis dafür schon bezahlt: Er ist gelähmt und kann nicht mehr sprechen. Auch Brady, mit der neuen Metallplatte im Schädel, weiss eigentlich, dass es auch für ihn gelaufen ist.
Zumal er, wenn er die Hand zur Faust ballt und etwas damit gefasst hat, nicht mehr loslassen kann – die Muskeln verkrampfen sich unkontrollierbar.
Das Echo der Westernfilme
Das ist eine der vielen vollkommen unaufdringlichen und realistischen Metaphern, mit denen Chloé Zhao ihren Film anreichert. Sie nutzt das Echo tausender Kinowestern und hunderter Rodeofilme, um völlig anders und auf rührende, packende Weise von jungen und nicht mehr so jungen Männern und Frauen zu erzählen.
Das Festhängen dieser Menschen im Reservat, in diesem halbtraditionellen, perspektivlosen und gefährlichen Leben, wird fast unmerklich zu einer US-amerikanischen Gesellschaftsmetapher, in der sich Hoffnung und Perspektivlosigkeit auf verblüffende Weise treffen.
Kinostart: 5.7.2018