Wie schnell doch die Zeit vergeht! Für Schauspielstar Maria Enders (Juliette Binoche) ganz klar zu schnell. Zwanzig Jahre nach ihrem Durchbruch mit «Maloja Snake» kriegt sie das Angebot, erneut in dem prestigeträchtigen Bühnenstück aufzutreten. Doch diesmal ist nicht die Rolle der schönen Verführerin Sigrid im Engadiner Drama für sie vorgesehen. Stattdessen soll sie deren Gegenpart spielen: Eine ältere Frau, die von Sigrid in den Selbstmord getrieben wird. Maria Enders ist von der Idee, sich so direkt mit dem Älterwerden auseinanderzusetzen, zunächst gar nicht begeistert. Dennoch willigt sie ein; denn vergessen zu werden, wäre der noch grössere Horror.
Das stärkste Zitat
«Werde nicht eifersüchtig! Das ist kein attraktiver Charakterzug.» Die hübsche Assistentin (Kristen Stewart) nimmt gegenüber ihrer Chefin (Juliette Binoche) kein Blatt vor den Mund, als diese über eine jüngere Schauspielkollegin (Chloë Grace Moretz) zu lästern beginnt.
Der Regisseur
Analysiert man das Werk des 59-jährigen Franzosen, kristallisiert sich eine Tendenz heraus: Olivier Assayas scheint mit seinen Filmen Eleganz und Tiefgang anzustreben. Oft gelingt das dem Kritiker-Liebling, der einst für die «Cahiers du cinéma» gearbeitet hat, ganz gut. Schon viermal war er in Cannes im internationalen Wettbewerb. Der grosse Triumph – sprich: die Goldene Palme – ist ihm aber bisher verwehrt geblieben. 1985 konnte er sich zumindest mitfreuen; als André Téchiné für «Rendez-vous» als bester Regisseur ausgezeichnet wurde. Assayas hatte das Drehbuch für das Drama geschrieben, das einer jungen Schauspielerin zum Durchbruch verhalf. Ihr Name? Juliette Binoche!
Fakten, die man wissen sollte
«Sils Maria» spielt – nomen est omen – überwiegend in der Schweiz; einige Teile im Bündnerland, andere in Zürich. Doch gedreht wurde überwiegend im Ausland. So musste beispielsweise ein Berliner Luxushotel als Zürcher Stadthaus herhalten. Der Basler Gilles Tschudi, der in dieser Szene den Zürcher «Stapi» mimen darf, ahnt warum: «Die Stadt hat sich nicht finanziell am Film beteiligt; Deutschland dagegen schon. Darum wäre es aus produktions-technischen Gründen schwierig gewesen, in Zürich zu drehen.» Verwirrende Filmwelt! Auch alt Bundesrat Moritz Leuenberger, der ohne vom Dreh zu wissen, zufällig im selben Hotel gastierte, war irritiert. Er bedankte sich am Empfang für die Schweizer Fahne, weil er annahm, diese wäre für ihn gehisst worden.
Das Urteil
Wer um die merkwürdigen Umstände weiss, unter welchen der Film gedreht wurde, für den besitzt «Sils Maria» einen besonderen Reiz. Für alle anderen gibt es nur einen Grund, das spannungsarme Drama zu sehen: die Besetzung. Juliette Binoche – als kleinmütige Grande Dame – und Kristen Stewart – als deren rotzige Assistentin – brillieren beide in ihren Rollen. Leider nimmt das Drehbuch den Darstellerinnen regelrecht die Luft aus den Segeln. Es nagelt die Charaktere auf Typen fest. Statt sich zu entwickeln, bleiben die Figuren in ihren Mustern gefangen. Vor allem die tragische Heldin hadert ohne Ende. So verlässt man das Kino mit dem Gefühl, die Einleitung eines interessanten Dreiakters gesehen zu haben, bei dem Akt zwei und drei schlicht vergessen wurden.