1. «TV-Star» John F. Kennedy
Als Robert Drew John F. Kennedy anfragte, ob er ihn bei einer Krise im Weissen Haus filmen dürfte, sagte Kennedy zu und meinte: «Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn ich Einblick ins Weisse Haus hätte, 24 Stunden bevor Roosevelt Japan den Krieg erklärte.» Kennedy war sich also bewusst, dass die Filme über ihn historische Dokumente werden würden.
2. Die Krise
Alabamas Gouverneur George Wallace akzeptierte 1963 den Gerichtsbeschluss nicht, dass sämtliche Universitäten der USA neu auch schwarzen Studenten offenstehen. Er kündigte an, die Schwarzen Vivian Malone und James Hood am Betreten der Universität von Alabama zu hindern.
Das war die Krise, die Drews Filmcrew begleiten durfte. Drews war nicht nur im Weissen Haus mit der Kamera dabei, sondern auch im Justizministerium, dem John F. Kennedys jüngerer Bruder Robert Kennedy vorstand, und vor Ort in Tuscaloosa, Alabama.
3. Der erste Fernseh-Präsident
John F. Kennedy gilt als erster US-Präsident, der das Fernsehen für seine Zwecke zu nutzen wusste. Er hielt immer wieder TV-Ansprachen, so auch am Abend des 10. Juni 1963, nachdem die Krise um die Zulassung schwarzer Studenten an die Universität von Alabama ausgestanden war. Ausschnitte aus dieser Rede beschliessen «Crisis».
4. «Primary»
1960 war Robert Drew soweit, mit einer eigens für ihn hergestellten Schulterkamera und einem transportablen Tonbandgerät einen neuartigen Dokumentarfilm zu drehen. Er brauchte nur noch ein Thema, das grosse Aufmerksamkeit versprach.
Für den Film «Primary» entschied er sich für die Präsidentschaftsvorwahlen im Staat Wisconsin und zwei demokratische Kandidaten: Hubert H. Humphrey, Senator von Minnesota, und John F. Kennedy, Senator von Massachusetts.
Kennedy, so glaubte Drew, hatte wohl keine Chancen – zu jung, zu reich, zu gutaussehend und erst noch katholisch. Noch nie zuvor hatte es einen katholischen US-Präsidenten gegeben. So kann man sich irren.
5. Test im Weissen Haus
John F. Kennedy fand Robert Drews Idee interessant, bei einer Krise im Weissen Haus gefilmt zu werden. Kennedy verlangte aber kurz nach seiner Inauguration 1961 Testaufnahmen. Er war nicht sicher, ob er die Kamera im Oval Office ebenso vergessen würde wie draussen bei den Vorwahlen in Wisconsin, als Drew «Primary» drehte.
Also machte Drew mit Lee Hall und D.A. Pennebaker während zwei Tagen Testaufnahmen. Als bei einem Meeting das heikle Thema Kuba aufkam, musste ein General Kennedy daran erinnern, dass die Kamera noch lief. Test bestanden.
6. «Crisis»
«Crisis» war der erste Film, der einen US-Präsidenten bei der Arbeit im Weissen Haus zeigte. Heute kann jeder mit einem Smartphone filmen, was er gerade erlebt. Da ist es nicht so einfach nachzuvollziehen, wie bahnbrechend Drews Filme waren. Die Menschen Anfang der 1960er Jahre hatten aber noch nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen. Das Gefühl, selbst am Geschehen teilzuhaben, war für sie überwältigend.
7. Kritik am Fernseh-Präsidenten
Noch bevor «Crisis» ausgestrahlt wurde, kritisierte die «New York Times» John F. Kennedy. Er verwandle durch den Film «Beratungsgespräche der Exekutive in eine melodramatische Peep Show».
Auch nach der Ausstrahlung änderte diese wichtige Zeitung ihre konservative Meinung nicht und schrieb: «Mister Drews Sendung bot nichts Neues, das für die Öffentlichkeit von legitimem Belang ist.»
Das Konkurrenzblatt «New York Herald Tribune» nannte «Crisis» jedoch einen «nie dagewesenen TV-Dokumentarfilm, der ein Meilenstein im Film-Journalismus ist».
8. Vier Kennedy-Filme
Robert Drew (1924 - 2014) ist vor allem für seine vier Kennedy-Filme bekannt. Zwischen «Primary» (1960) und «Crisis» (1963) produzierte er auch noch «Adventures on the New Frontier» (1961).
Dieser Film enthält die Testaufnahmen aus dem Weissen Haus, die teils fast familiär wirken, etwa wenn Kennedy Fotos für seine Schwestern unterschreibt oder beim Lesen eines Fanbriefs laut auflacht.
Der vierte und letzte Kennedy Film heisst «Faces of November» (1964) und zeigt in zwölf Minuten wortlos Kennedys Staatsbegräbnis im November 1963.
9. Kennedy, der Historiker
Kennedy hatte zwei erfolgreiche historische Bücher publiziert. Im Wissen um seine Geschichtsaffinität, sagte ihm Robert Drew: «Unsere Filme sind eine neue Art von Journalismus. Wir beobachten bloss, was passiert.
Wir werden nicht eingreifen, wir werden nichts ausleuchten, wir werden nichts von Ihnen verlangen. Diese Filme werden eine neue Form von Geschichte sein.» Daraufhin habe Kennedy zugesagt mitzumachen. Der Rest ist «history».
10. Robert Drews und der Mythos Kennedy
Gerade weil Robert Drews Filme so neu und mitreissend waren, haben sie zum Mythos Kennedy beigetragen. Denn sie zeigen einen jungen, attraktiven und sympathischen Präsidenten, der entschlossen auftritt und handelt.
100 Jahre nachdem Abraham Lincoln die Sklaverei abgeschafft hatte, wollte Kennedy endlich auch die Rassentrennung in den US-Südstaaten abschaffen. «Crisis» dokumentiert diese historische Leistung.