SRF: Im Kurzfilm «Bon Voyage» trifft ein Schweizer Seglerpaar auf dem Mittelmeer auf ein manövrierunfähiges Flüchtlingsboot. Was inspirierte Sie zu der Geschichte?
Marc Wilkins: Ich bin selber begeisterter Segler. Vor sechs Jahren bereitete ich mit Freunden von Gran Canaria aus eine Atlantiküberquerung vor. Wir beschäftigten uns mit Fragen wie: Wie viel Rotwein müssen wir mitnehmen? Verdirbt ein Serranoschinken auf hoher See?
Während wir uns mit Luxusproblemen beschäftigten, landeten auf der Insel die ersten Flüchtlinge aus dem Senegal. Die Menschen waren wochenlang auf zerbrechlichen Kähnen unterwegs gewesen, ohne GPS, hatten gegen Hunger und Durst gekämpft.
Mir wurde plötzlich bewusst, dass diese Boote auf dem selben Stück Ozean unterwegs waren wie wir. Was würde wohl passieren, wenn wir auf so ein Flüchtlingsboot treffen? Würden wir diese Menschen retten, sie an unserem Glück teilhaben lassen?
Euch waren Bodenhaftung und Authentizität bei diesem Projekt wichtig. Wie seid ihr vorgegangen?
Marc Wilkins: Die Recherchen im Vorfeld waren sehr wichtig. Wir wollten nicht einfach die Schweizer Filmemacher sein, die der Welt die Flüchtlingskrise erklären. Ich verbrachte Zeit auf der Insel Lesbos, half bei der Betreuung ankommender Flüchtlinge mit. Dadurch erhielt ich eine kleine Ahnung, in welcher Not diese Menschen gesteckt haben müssen. Gedreht haben wir dann in der Südtürkei.
Joel Jent: Wir versuchten während den Vorbereitungen und dem Dreh eine Augenhöhe zu den Betroffenen herzustellen – auch durch die Besetzung der Nebenrollen mit Menschen mit eigener Fluchtgeschichte.
Wir wollten nicht einfach der Welt die Flüchtlingskrise erklären.
Wir casteten als erste die syrische Schauspielerin Suhair Omran. Sie schlug uns bei einem Abendessen in Istanbul ihren Landsmann Jay Abdo vor.
Der Schauspieler war in seinem Heimatland ein ziemliches Kaliber...
Joel Jent: Genau, er gilt als syrischer Sean Connery. Wegen eines kritischen Interviews musste er vor dem Assad-Regime in die USA flüchten. Vorübergehend war er Pizzabote.
Mittlerweile arbeitete er mit Nicole Kidman zusammen, wirkte in «Criminal Minds» mit. Jay sagte innerhalb einer halben Stunde zu. Auch andere Nebenrollen besetzten wir mit Flüchtlingen aus Syrien.
Wie habt Ihr die anderen Darsteller gefunden?
Joel Jent: Die kleine Hala zum Beispiel, aus einer syrisch-palästinesischen Familie, ist ein absoluter Glücksfall. Sie ist übrigens auf dem Plakat des Films zu sehen. Hala lernten wir in einem Istanbuler Flüchtlingscamp kennen.
Castingagenturen hatten uns schon zig Kinder vorgeschlagen. Aber keines kam an die Kraft und Präsenz von Hala heran. Beim Dreh waren auch ihre Geschwister vor Ort, um sie zu unterstützen. Mittlerweile ist Hala siebenjährig und hat in der Türkei schon weitere Rollen gespielt.
Viele Crew- und Castmitglieder wurden seekrank.
Wie waren die Dreharbeiten auf dem Meer in der Südtürkei?
Marc Wilkins: Extrem herausfordernd. Viele Crew- und Castmitglieder wurden seekrank. Die Platzverhältnisse an Bord der Yacht sind äusserst eng, die Arbeitstage lang und anstrengend
Anspruchsvoll war auch die aufwendigste Szene: Das Entdecken eines überfüllten Flüchtlingsbootes. Da standen uns 70 Statisten zur Verfügung – lokale Fischer und Taucher.
Bei der Generalprobe im sicheren Hafen lief noch alles rund. Doch als die Szene gedreht werden sollte, meuterten die Statisten. Sie hatten plötzlich Angst. Das Gerücht ging um, dass wir das Boot tatsächlich versenken wollten.
Auch mein Angebot, selber auf das Boot zu kommen, beruhigte die Leute nicht. Wir konnten bloss die Hälfte aller Einstellungen drehen. Ich befürchtete, dass wir nochmals von vorne beginnen müssen. Doch Joel hat mich beruhigt: «Es chunnt scho guet».
Joel Jent: Die Dreharbeiten waren zwar hart – aber uns haben die Moral und das Engagement der Crew und insbesondere der Schauspieler beeindruckt und berührt. Keiner wollte zurück an Land, bevor nicht alle Szenen gedreht wurden.
Jay, Suhair, Hala und all die anderen waren extrem stolz auf dieses Projekt, sahen es als ihre Mission dass diese Geschichte authentisch und einfühlsam erzählt wird. Das ist uns – so hoffen wir – gelungen.
Das Gespräch führte Thomas Lüthi.