Die erste Szene ist sommerlich leicht. Lee (Casey Affleck) blödelt mit seinem Bruder Joe (Kyle Chandler) und dessen kleinem Sohn Patrick (Ben O’Brien) auf einem Fischerboot rum. Schnitt: Lee schaufelt Schnee.
Das Bild fasst sein Leben ziemlich gut zusammen: Es ist kalt geworden, und Lee bestraft sich auf alle möglichen Arten. Zum Beispiel mit einer roten Plastikschaufel, die einen zu kurzen Stiel hat. Ein lächerliches Werkzeug für einen Hauswart.
Warum er sich selber bestraft, machen erst diverse Rückblenden klar. Rückblenden wie die allererste Szene, als in Lees Leben noch die Sonne schien. In der Gegenwart ziehen jedoch dunkle Wolken auf: Sein Bruder Joe ist gestorben und hat Lee als Vormund für den inzwischen 16-jährigen Patrick (Lucas Hedges) vorgesehen.
Vormund wider Willen
Doch Lee wehrt sich mit Händen und Füssen dagegen. Erstens will er nicht in die Fischerstadt Manchester-by-the-Sea ziehen, weil dort auch seine Ex-Frau Randi (Michelle Williams) mit ihrem neuen Mann lebt.
Und zweitens hält er sich für unfähig, ein Vorbild für Patrick zu sein. Wobei Patrick auch nicht gerade ein Unschuldsengel ist.
Er hat zwei Freundinnen, die voneinander nichts wissen, und bittet Lee, keiner davon zu erzählen. Zudem lässt Patrick sich von seinem Onkel zu ihnen und an andere Orte chauffieren, als wäre das schon immer Lees Aufgabe gewesen.
Überzeugendes Schauspiel-Ensemble
Natürlich muss das Leben weitergehen. Im Grunde ist der Pragmatismus des Teenagers erfrischend.
Aber für Lee reicht Pragmatismus nicht aus. In ihm brodelt noch etwas ganz Anderes: ein schockierendes Schicksal, das fürs Publikum ziemlich überraschend kommt.
«Manchester by the Sea» hat schon diverse Filmpreise gewonnen und wurde zu Recht für sechs Oscars nominiert.
Der Film ist ein unspektakuläres Meisterwerk, das schwere Schicksale beiläufig schildert und zwischendurch auch lustige Alltagsmomente aufblitzen lässt. Die Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart sind elegant gemeistert, das Schauspiel-Ensemble überzeugt rundum.