Am Anfang waren die Spider-Man-Comics. Das sind seit 1961 über 27'000 , die auf rund einer halben Million Seiten ihre Geschichten ausbreiten. Und jeden Monat kommen neue Hefte hinzu.
Marvel-Figuren wie Spider-Man tauchten immer schon nicht nur in den eigenen Titeln auf. Sie haben auch Gastauftritte bei anderen Helden und Heldinnen. Dazu gibt es grosse Crossover-Events, in denen in dutzenden Heftreihen eine übergreifende Geschichte erzählt wird.
Komplexes Netzwerk
Der geschäftliche Ansatz dahinter ist klar: Die Leserinnen und Leser dazu zu bewegen, mehr Comics zu kaufen. Inhaltlich heisst das, dass ein fiktives Universum entstanden ist, dessen Figuren alle in Beziehung zu einander stehen und Teil einer grosse Erzählung sind.
Das ist knifflig. Weil trotzdem jedes Heft für sich verständlich bleiben muss.
Es ist auch schwierig, weil die Abenteuer der Superhelden und Superheldinnen Endloserzählungen sind. Seit 60 Jahren schwingt beispielsweise Spider-Man durch New York. Um eine neue Leserschaft zu erreichen, wird seine Entstehung, wie auch die anderer Figuren, immer wieder neu erzählt.
Dieses komplexe Erzählungsnetzwerk aus den Comics wurde auf Filme und in Serien übertragen. Das sind bisher 27 Filme und 16 Serien, seit 2008, als mit Iron Man im Kino das Marvel Cinematic Universe (MCU) gestartet wurde. Und das Universum wächst. Pro Jahr kommen durchschnittlich zwei bis drei neue Filme und zwei neue Serien dazu.
Das MCU unterscheidet sich von anderen Film-Franchises. Weil es auf Comics basiert und das serielle Erzählen der Vorlagen übernimmt, genauso wie die Verzahnung der jeweiligen Handlung, wodurch, wie in den Comics, auch eine Welt entsteht.
Das Storytelling ist neuartig. Es gibt auf der einen Seite ein klassisches, gradliniges, serielles Erzählen, aber auch ein nichtlineares, quer von einem Film zu einer Serie und zu einem anderen Film, wieder zu einer Serie und so weiter.
Für das Publikum ist das nachvollziehbar, weil durch die Digitalisierung Filme und Serien ständig verfügbar sind und mehrfach angeschaut werden können wie ein Comicheft. Und wenn man eine Frage hat, kann man schnell im Internet nachschauen.
Die Geburt des Multiversum
Als wäre die bisherige Art des Erzählens nicht schon komplex genug, führt jetzt «Spider-Man: No Way Home» im Kino das MCU in eine neue Richtung.
Wie zuvor dienen die Comics als Vorlage. Weil es dort im Laufe der Jahre so viele Varianten ein- und derselben Figur gab und der Marvel-Konzern die Idee eines grossen Bogens nicht aufgeben wollte, schuf man das Multiversum. Heisst: Es existieren verschiedene Erden nebeneinander, die ähnlich, aber nicht gleich sind.
Mehr als eine Erde
Dass eine Reise von einer Welt zur anderen möglich ist, wenn auch nur unter aussergewöhnlichen Bedingungen, macht die Idee des Multiversums anspruchsvoll. Denn auf einmal können Varianten der selben Figur miteinander interagieren, deren Aktionen aber der grossen Erzählung nicht widersprechen dürfen.
Das Multiversum ist kommerziell reizvoll, weil es neue und mehr Inhalte schafft. Auch für Filmreihen und Serien. Einen Vorgeschmack gab es dieses Jahr in der Serie «Loki», in der der Titelheld in verschiedenen Varianten auftaucht.
Im neuen «Spider-Man: No Way Home» brechen die Grenzen zwischen den Welten auf. Es tauchen Schurken aus den alten Spider-Man-Filmen auf, die bisher nicht Teil des MCU waren. Und der nächste Teil trägt das Multiversum im Titel: «Doctor Strange in the Multiverse of Madness».
Das MCU ist eine äusserst profitable Franchise, aber auch eine neue Erzählform, die Filme und Serien der Zukunft beeinflussen wird.