«Meine Vorstellung von romantischen Beziehungen habe ich aus Disney-Filmen», sagt Cecilie mit glänzenden Augen. Die blonde Norwegerin, Ende 20, ist schon lange auf der Suche nach ihrem Traumprinzen. Den glaubt sie eines Tages auch tatsächlich gefunden zu haben: auf der Dating-App Tinder.
Dort lernt sie Simon Leviev kennen. Er ist charismatisch, aufmerksam – und vor allem reich. Er sei der Erbe des Diamantenmilliardärs Lev Leviev. Für Cecilie beginnt eine Romanze im Überfluss: Kaviar, Champagner, Privatjets.
True Crime, aber nicht ganz so spannend
Online-Dating und Social Media sind schon lange fester Bestandteil unseres Alltags. Diesen wichtigen Teil unseres Lebens filmisch darzustellen, ist aber alles andere als einfach. «The Tinder Swindler» schafft dies eindrücklich. Mit dynamischen Montagen, untermalt von dramatischer Musik, rekonstruieren die Macher die Online-Romanze. Cecilie kommentiert emotional die gezeigten Whatsapp-Nachrichten, Sprachnachrichten und Fotos.
«The Tinder Swindler» ist eine True Crime-Doku, wie sie Netflix in den letzten Jahren mehrfach produziert hat. Doch verrät hier schon der Titel, dass aus dem Liebesmärchen bald eine Horrorgeschichte wird. Spannungstechnisch kann «The Tinder Swindler» mit anderen Dokus dieses Genres nicht mithalten.
Trickbetrüger mit Charme
So kommt es, wie es kommen muss. Eines Tages erzählt Simon Cecilie eine wirre Geschichte: Er werde von Feinden bedroht, müsse seine Kreditkarte sperren um unterzutauchen. Cecilie muss ihm Geld leihen. Geld, das sie nie wieder sehen wird.
Denn Simon ist ein Trickbetrüger. Er hat mit dem Diamanten-Leviev nichts am Hut und heisst noch nicht mal wirklich Simon. Cecilie ist auch nicht seine einzige Freundin, das Betrugsspiel spielte Simon parallel mit mehreren Frauen in unterschiedlichen Ländern, und finanziert sich damit seinen Luxus-Lebensstil.
Im zweiten Teil von «The Tinder Swindler» versuchen Cecilie und weitere Opfer von Simon, zusammen mit einen Investigativ-Team, den Betrüger zu stellen. Wer Simon wirklich ist, bleibt aber bis zum Schluss rätselhaft. Dass er in Israel bereits ein gesuchter Krimineller war, wird in einem Nebensatz erwähnt.
Keine Einordnung, keine Erklärung
Der Erfolg der Doku lässt sich einfach erklären: Scheinwelten auf Social-Media und Online-Dating entsprechen dem Zeitgeist. «The Tinder Swindler» kontextualisiert aber erstaunlich wenig die Themen, die in dieser Geschichte stecken.
Die Doku bleibt bei den Opfern. Verurteilt sie nie. Die psychologischen Folgen sind sichtbar und gehen unter die Haut. Einschätzungen, Statistiken und Analysen findet man in «The Tinder Swindler» jedoch nicht. Man vermisst Onlinedating-Expertinnen, Kriminologen oder Psychologinnen, die die Betrugsfälle einordnen und erklären.
Entsetzt fragt man sich ständig: Wie ist es möglich, monatelange falsche Liebesbeziehungen zu führen? Was sind die psychologischen Tricks eines solchen Betrügers? Was kann man tun, wenn man selber Opfer von Scaming wird?
Über die Risiken des Online-Dating klärt The Tinder Swindler nur bedingt auf. Das beweist auch das Ende der Doku: Cecilie benutzt Tinder weiterhin, und der Schwindler ist auf freiem Fuss.