Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit in unserer Galaxis ... Kabelfernsehen und Kino, die Hüter der klassischen Ordnung, verlieren an Macht. Im neuen Unterhaltungs-Universum geben Emporkömmlinge den Ton an: Rebellische Webdienste, die modernste Technologie nutzen, um ihre Inhalte an den Mann zu bringen. «Streaming is king» – und Netflix der neue Herrscher.
Disney, dem alten Maus-Haus, ist das ein Graus. Ausgerüstet mit Eigenmarken wie «Marvel», «Star Wars» oder «Pixar» zieht der Gigant 2020 an die Streaming-Front. Doch Netflix lässt sich nicht so leicht kleinkriegen. Im Gegenteil: Dank Corona hat der Branchenprimus weiter zugelegt und bei den Abos inzwischen sogar die 200-Millionen-Marke überschritten.
Disney+ seinerseits dürfte bald eine andere Grenze knacken: 100 Millionen Kundinnen und Kunden. Für einen Streaming-Neuling ist das beachtlich, doch gemessen am Machthunger der gefrässigen Riesenmaus nicht genug. «Mehr!» heisst darum das Zauberwort, mit dem Disney+ die Kluft zu König Netflix verkleinern will. Und «Star» die nicht ganz so günstige Wunderwaffe, die das möglich machen soll.
Erwachsene im Visier
Unter dem Namen «Star» lanciert die auf Familienunterhaltung spezialisierte Firma nun Inhalte, die sich explizit an Erwachsene richten. Für Mischa Christen, Redaktionsleiter der Programmzeitschrift «Streaming», ist das ein logischer Schritt, um neue Zuschauersegmente für sich zu gewinnen:
«Durch ‹Star› wird Disney+ jetzt erwachsen. Bislang hat sich das Angebot von Disney+ primär an unter 16-Jährige gerichtet. Das ändert sich nun mit Klassikern wie ‹Pretty Woman› oder ‹Con Air›, die unter der Kachel ‹Star› neu auf Disney+ zu finden sind.»
Das Arsenal an Archivtiteln ist riesig, da immer mehr grosse Produktionshäuser wie 20th Century Fox zu Disney gehören. Zum Start von «Star» kann das Publikum von Disney+ auf über 300 weitere Filme und Serien zugreifen. Das entspricht fast einer Verdopplung des bisherigen Angebots.
Materialschlacht an allen Fronten
Disney rüstet seinen Online-Distributionskanal aber nicht nur mit «Star» auf. Auch die anderen Eigenmarken werden mit aufsehenerregenden Titeln bestückt. Die Produktion neuer Inhalte läuft auf Hochtouren: Statt der üblichen vier Milliarden Dollar will Disney 2021 acht bis neun Milliarden investieren.
Zahlen, die sogar Branchenkenner wie Mischa Christen zum Staunen bringen: «Das ist gigantisch: Disney produziert derzeit zehn neue Marvel-Serien und zehn neue Star-Wars-Serien. Parallel dazu wurden zehn europäische Inhalte in Auftrag gegeben.»
Die Schattenseite von Disneys Offensive: höhere Abo-Gebühren. Statt 9.90 Fr. kostet Disney+ für Neukundinnen und Neukunden nun 12.90. «Drei Franken klingt nach wenig, macht aber einen Preisaufschlag von 30 Prozent aus», rechnet Christen vor.
Wo liegt die Schmerzgrenze?
Disney biete also einiges, verlange dafür aber auch recht viel, findet der 46-Jährige: «Aus Umfragen wissen wir, dass sich Herr und Frau Schweizer ein bis zwei Streaming-Abos leisten. Damit kommt man heute auf 20 bis 30 Franken, was die meisten verkraften.»
Die Schmerzgrenze liege wohl bei ungefähr 50 Franken pro Monat, schätzt Christen. Und dieses Limit dürften schon im März viele Haushalte knacken. Wer nämlich fürs Kino geplante Disney-Filme wie «Raya and the last Dragon» streamen will, wird zusätzlich zur Kasse gebeten.
Das erfolgsverwöhnte Maus-Haus hat sich also einen lukrativen Schlachtplan für den Streaming-Krieg zurechtgelegt. Ob er aufgeht, bestimmt aber letztlich nicht Disney selbst. Sondern das allseits umworbene Publikum im Heimkino.