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Neu bei Play SRF «The Worst Person in the World»: Besser als jeder Kuss

Die 30-jährige Heldin dieser Dramödie fühlt sich oft wie die Hinterletzte. Dabei ist sie liebenswert wie der ganze Film.

Gerade eben auf der Party schwebte Julie noch auf Wolke sieben. Doch nun, in den eigenen vier Wänden, geht’s ihr mies. Weil sie spürt, dass sie im falschen Leben feststeckt. Oder zumindest im falschen Leben festzustecken glaubt. Denn wer weiss das in ihrer Generation mit 30 schon?

Überfordert von den vielen Optionen, die ihr offenstehen, kann sich Julie weder beruflich noch privat festlegen. Ihr gut 10 Jahre älterer Freund Aksel – ein charismatischer Comic-Autor – drängt darauf, sich gemeinsam niederzulassen. Julie hält sich dafür noch nicht reif genug – mit Blick auf ihre wilden Eskapaden vermutlich zurecht.

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Filmkritik zu «The Worst Person in the World»
aus Kultur-Aktualität vom 18.01.2022. Bild: Frenetic
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 35 Sekunden.

Als Julie eines Nachts wieder mal in eine Party platzt, lernt sie den gleichaltrigen Eivind kennen, der sich in seiner Beziehung ähnlich fremdbestimmt fühlt. Weil betrügen dennoch für beide nicht infrage kommt, entwickelt sich ihr Flirt zu einem lustvollen, körperlosen Spiel. Bei dem die Grenzen dessen, was mit dem Gewissen vereinbar ist, bis zum Äussersten ausgelotet werden.

Wo Rauch ist, ist auch Feuer

Statt Eivind zu küssen, atmet Julie beispielsweise den Rauch der Zigarette ein, welcher aus seinem Mund in ihren strömt. Aus kinematografischer Perspektive ist dieses Bild freilich reizvoller, als es ein gewöhnlicher Kuss je sein könnte. Während aus psychologischer Sicht damit klar wird, wie flüchtig menschliches Begehren ist. Und wie süchtig es zugleich macht.

Julie (Renate Reinsve) rennt auf offener Strasse lachend der Kamera entgegen.
Legende: Julie (Renate Reinsve) versucht in zwölf fantastischen Kapiteln, ihren Weg in die Freiheit zu finden. Frenetic

In einer anderen erinnerungswürdigen Szene hält Julie gedanklich kurzerhand die Zeit an: Damit sie von der eigenen Küche, in der sich Aksel gerade einen Kaffee zubereitet, unbemerkt ins Café flüchten kann, in dem Eivind arbeitet. Um endlich das zu tun, wovon sie träumt: Den attraktiven Barista zu küssen.

Schlechteste Person, beste Schauspielerin

In Cannes erntete die fabelhafte Tragikomödie viel Applaus. Allen voran: Regisseur Joachim Trier, der mit diesem Festivalhit seine Oslo-Trilogie würdig abschliessen konnte. Sowie Schauspielerin Renate Reinsve, die – einst von Trier entdeckt – hier ihre erste Hauptrolle spielen durfte. Und die an der Croisette sogleich als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde.

Preisträgerin Renate Reinsve in einer Nahaufnahme.
Legende: Renate Reinsve entzückte bereits in Joachim Triers «Oslo, August 31st» mit einem Kurzauftritt. Frenetic

Im echten Leben gefeiert, fühlt sie sich im Film analog zum Titel wie «die schlechteste Person der Welt». Wie das genau zu verstehen ist, erklärte uns Reinsve im Interview: «In Norwegen ist das eine geläufige Redewendung, die man braucht, wenn man etwas Dummes getan hat. Es handelt sich um Selbsthass, der so treffend zum Ausdruck gebracht wird.»

Auf andere Menschen lässt sich diese gänzlich selbstbezogene Redewendung interessanterweise nicht anwenden. Was gut zur Haltung des Films passt, der konsequent darauf verzichtet, seine Figuren moralisch gegeneinander auszuspielen.

Jenseits von Gut und Böse

Bereits Nietzsche wusste: «Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.» Daran anknüpfend erzählte uns Regisseur Joachim Trier in Cannes: «Derzeit hat jeder eine starke Meinung. Aber nicht alles in der Welt ist schwarz oder weiss. Viele sind verunsichert, wollen nichts Falsches tun. Wir sind alle übervorsichtig geworden.»

Julie (Renate Reinsve) schaut Eivind (Herbert Nordrum) verliebt an.
Legende: Nicht nur ihr Name erinnert an August Strindbergs meistgespieltes Theaterstück «Fräulein Julie». Frenetic

Darum sei gerade jetzt der ideale Zeitpunkt für eine Komödie, die sich spielerisch mit dem Beziehungsleben der 30- und 40-Jährigen auseinandersetzt. Dass der Feuilleton-Liebling auch ausserhalb seiner Zielgruppe funktioniert, spricht für den Film: «The Worst Person in the World» ist die perfekte Romanze für all diejenigen, die Liebesdramen hassen.

Streaminghinweis

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Der Film «The Worst Person in the World» wurde zweifach für einen Oscar nominiert und ist vom 07.03.2024 bis zum 06.04.2024 auf Play SRF verfügbar.

SRF 2, 07.03.2024, 20:10 Uhr.

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