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«Al-Shafaq» – die Filmkritik
Aus Kultur-Aktualität vom 01.11.2019.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 6 Sekunden.

Neu im Kino «Al-Shafaq»: Der Zürcher, der in den Dschihad zog

Schlagende Argumente: Der neue Spielfilm von Esen Işık zeichnet nach, wie sich ein Schweizer Teenager radikalisiert.

Niemals hätte die türkisch-schweizerische Regisseurin Esen Işık gedacht, dass das Thema des Dschihad so nahe an sie herantreten würde. Und doch ist es ausgerechnet der Neffe einer Freundin von ihr, der sich vor ein paar Jahren dem IS anschliessen wollte.

Der Fall weckte das Interesse der Filmemacherin, die 2016 mit «Köpek» den Schweizer Filmpreis gewann. Wie ist es möglich, dass sich Jugendliche auch im Westen radikalisieren? Was sind die Beweggründe für so einen Schritt?

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Trailer zu «Al-Shafaq»
Aus Kultur Extras vom 31.10.2019.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 41 Sekunden.

Işık fing an zu recherchieren. Redete mit muslimischen Familien in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Aus den Berichten von verschiedenen jungen Männern entstand das Drehbuch von «Al-Shafaq», die Geschichte des türkischen Teenagers Burak aus Zürich.

Ein Junge zwischen den Welten

Burak ist ein etwas verlorener junger Mann. Er steht nicht ganz hinter dem strengen Glauben seiner Eltern, fühlt sich aber auch bei seinen Schweizer Freunden nicht wirklich wohl. Doch vor allem leidet er unter den brutalen Gewaltausbrüchen seines Vaters Abdullah.

Durch einen Job, den Abdullah ihm organisiert, kommt er unter die Fittiche eines reichen muslimischen Geschäftsführers. Dieser entpuppt sich als Mittelsmann, der junge Männer für den «heiligen Krieg» in Syrien rekrutiert.

Vier Menschen in einer Küche.
Legende: Die patriarchalen Strukturen: ein Erklärungsansatz für die Radikalisierung in «Al-Shafaq». Outside the Box

Eine Geschichte wie ein Puzzle

Esen Işık erzählt Buraks Geschichte nicht chronologisch. Die Zeitspanne, in der er mit der islamistischen Szene in Zürich in Verbindung kommt, und die Zeit nachdem er in den Krieg gezogen ist, sind ineinander verschachtelt.

Parallel dazu begleiten wir Vater Abdullah, wie er den Flüchtlingsjungen Malik rettet – aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet, in dem Burak in den Krieg gezogen ist. Unter dieser unkonventionellen Erzählstruktur leidet manchmal das Verständnis der Geschichte.

Ein bedrückender Einblick

Die Verhältnisse in Buraks Familie sind beklemmend. Wenn Abdullah seinen Sohn verprügelt, steht Mutter Emine dieser Gewalt hilflos gegenüber. Ein Klischee muslimischer Familien? Nein, meint Esen Işık.

Eine Familie beim Abendbrot.
Legende: Ein Fremdkörper wird zum Freiheitskämpfer: Burak (ganz links) im Kreise seiner Familie. Outside the Box

Das sei eine Realität, die sie zeigen wollte. Es sei eine Tatsache, dass viele muslimische Jugendliche aus stark patriarchalisch geprägten Milieus kommen, in denen die Geschlechterrollen klar bestimmt seien.

Der Film soll mit dem Charakter von Vater Abdullah aufzeigen, wie solche patriarchale Strukturen funktionieren. Ausserdem wollte sie untersuchen, welche Rolle die Vaterfigur bei der Radikalisierung von jungen Männern spielt.

Wo, aber nicht wie

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«Al-Shafaq» in der Sternstunde Kunst
Aus Sternstunde Kunst vom 27.10.2019.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 37 Sekunden.

Identitätssuche, Zerrissenheit zwischen verschiedenen Kulturen, strenge Familienstrukturen: Esen Işık zeigt sehr glaubhaft die verschiedenen Umstände, in denen sich junge Männer radikalisieren. Es gäbe keine konkrete Anleitung, meint sie.

Was Burak aber überzeugt hat, lässt sie aus. So sehen wir in «Al-Shafaq» nur, wo und durch wen Burak radikalisiert wird.

Doch wäre es genau bei diesem spezifischen Fall interessant gewesen, den inneren Prozess des Protagonisten zu spüren. Um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, wie aus einem unsicheren Jungen ein radikaler islamistischer Freiheitskämpfer hatte werden können.

Kinostart: 31.10.2019

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