Eigentlich ist Angst etwas Fürchterliches. Doch um Filme anzutreiben, eignet sie sich – als besonders subtile Form von Gewalt – ausgezeichnet. Für das Publikum im sicheren Kinosessel gilt: Man braucht sich vor nichts zu fürchten. Man darf. Angstlust nennt sich dieses psychologische Phänomen, auf das Horrorfilme bauen.
Dieser Marathon geht an die Substanz
Nach Genre-Hits wie «Hereditary» und «Midsommar» deutet Regisseur Ari Aster nun mit «Beau Is Afraid» an, wie man die Lust an der Angst ausdehnen könnte. Sein bisher ambitioniertestes Werk will nicht nur fürchterlich fesselnd sein, sondern auch furchtbar lustig. Und das nicht nur während 90 Minuten, sondern satte drei Stunden lang.
Diesen nervenaufreibenden Marathon durchzustehen, bringt einzigartige Glücksmomente mit sich, geht aber auch an die Substanz. Zumal man die Welt exakt so sieht, wie sie der angstgeplagte Filmheld Beau (Oscarpreisträger Joaquin Phoenix) erlebt: Als absurd anmutende Hölle, in der bedingungslose Liebe nur als Sehnsucht existiert.
Der Schöne und das Biest
Das Verlorensein in einer Welt, in der hinter jeder Ecke eine Bedrohung lauert, spiegelt die Inhaltsbeschreibung wider: Ein paranoider Mann mit dem schönen Namen Beau Wassermann bricht auf zu einer epischen Reise in den Schoss seiner unbarmherzigen Mutter.
Diese scheint ein hochgradig manipulatives Biest zu sein. Zumindest aus Beaus Sicht, den wir in Rückblenden als ebenso gutaussehenden wie verletzlichen Jungen kennenlernen. Wie verzerrt diese Erinnerungen sind, lässt der Film – wie vieles – bewusst offen.
Wie für Beau gibt es auch fürs Publikum kein Entrinnen aus dem Bewusstseinskäfig des Protagonisten. Offensichtlich ist nur dies: Vom Leben schwer gezeichnet, ist aus dem einstigen Schönling Beau ein Häufchen Elend mit gravierendem Mutterkomplex geworden.
Horrortrip mit schwarzem Humor
Im Zentrum bleibt stets die unheimlich tief sitzende Angst, an der bekanntlich immer mehr Menschen leiden. Fast eine Stunde lang schaut man fasziniert zu, welch originelle Bilder Ari Aster für das abstrakte psychiatrische Krankheitsbild der Angststörung findet.
Man staunt, wie gut es dem verstörenden Film zunächst gelingt, beklemmende und urkomische Momente nebeneinander zu stellen. Man staunt, wie es Joaquin Phoenix einmal mehr wie kein Zweiter schafft, Verletzlichkeit zu transportieren. Doch leider staunt man auch, wie etwas, das so durchdacht beginnt, letztlich dermassen ins Uferlose driften kann.
Denn in der zweiten Hälfte erleidet Asters fantastisch lancierte Phantasmagorie – man muss es so hart sagen – totalen Schiffbruch. Die kreativen Einfälle fangen an, sich zu erschöpfen. Je länger der Film dauert, desto mehr kippt das Expressive ins Plakative. Was als empathische Charakterstudie begann, endet im küchenpsychologischen Kuddelmuddel.
Schrecken ohne Ende
Als kafkaesken Albtraum will Aster seine jüngste Regiearbeit verstanden wissen. Auf sinnstiftende Weise grotesk nach Kafkas Art wirkt «Beau Is Afraid» nur im ersten Akt. Danach verkommt der Film zum schlechten Scherz, dem allenfalls Freudianer mit Vorliebe für den Ödipuskomplex etwas abgewinnen können.
Doch gerade weil Aster so fulminant scheitert, sollten sich zumindest alle Cinephilen «Beau Is Afraid» anschauen gehen. Denn so etwas Abgefahrenes wie dieses Drei-Stunden-Monster werden sie lange nicht mehr zu Gesicht kriegen.
Kinostart: 27.4.2023