Die Schweizer Regisseurin Gitta Gsell hat den Roman «Hochzeitsflug» des türkischstämmigen Schweizers Yusuf Yesilöz verfilmt. Der Film heisst wie seine Haupfigur: «Beyto».
Beyto lebt als junger Schweiz-Türke im Spannungsfeld zwischen seinen konservativen Eltern und den eigenen Bedürfnissen. Als er sich in seinen Schwimmtrainer Mike verliebt, beginnt die grosse Zerreissprobe.
Im Wasser gehört Beyto zu den Schnelleren. Auch als die ersten Funken stieben zwischen ihm und seinem gleichaltrigen Trainer Mike, braucht er nicht lange, um zu merken, wo er steht – zu seiner eigenen Überraschung.
Sommerferien in der Türkei mit Folgen
Beyto verliebt sich und lässt zuhause bei seiner Mutter einen Versuchsballon steigen, indem er von einem Freund aus Istanbul erzählt, der sich verliebt habe. In einen Mann. Die Mutter reagiert, wie befürchtet, mit einer wegwerfenden Geste. Bald merkt auch Mike, dass Beyto sich nicht getraut, offen zu ihm zu stehen
Als die Gerüchte um ihren Sohn lauter werden, beschliessen Beytos Eltern, ihn in den Sommerferien in der Türkei mit seiner Jugendfreundin Seher zu verheiraten. Damit er mitkommt, behaupten die Eltern, die Grossmutter liege im Sterben.
Natürlich braucht Beyto im türkischen Bergdorf nicht lange, um das Spiel zu durchschauen: «Ihr habt mich reingelegt!», brüllt er seinen Vater an und erklärt zum ersten Mal offen, was er wirklich wolle. Aber das interessiere die Eltern ja ohnehin nicht.
Und doch fügt sich Beyto in die Heirat, nur schon, um Seher, die er wie eine Schwester liebt, nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Worauf die Probleme dann eben zuhause in der Schweiz auf ihn warten. Seher ist unglücklich und Mike voller Wut.
Gitta Gsell hat den fast zehn Jahre alten Roman von Yusuf Yesilöz mit verblüffender Sicherheit in die Gegenwart transferiert.
Zärtlich-explosives Gefühlsgemisch
Laiendarsteller Burat Ates, ein Produktionsmechaniker aus Solothurn, lässt als Beyto, mit dem ohnehin von Film zu Film stärker werdenden Profi Dimitri Stapfer als Mike, ein überzeugend zärtlich-explosives Gefühlsgemisch entstehen. Im Gegenzug spielen Beren Tuna und Serkan Tastemur Beytos Eltern ebenso wohlmeinend wie überfordert.
Das Casting sei nicht einfach gewesen, sagt die Regisseurin. Etliche junge Schauspieler hätten sich zurückgezogen, als sie merkten, dass sie einen schwulen jungen Mann hätten spielen sollen. Nicht, weil sie ein Problem damit gehabt hätten. Aber allenfalls ihre Familien. Was zeigt, wie aktuell das Thema des Films tatsächlich ist.
Vielleicht gerade darum ist «Beyto» ein Ensemblefilm, der von allen Beteiligten mit spürbarem Engagement und vollem Einsatz getragen wird, bis hin zum Schweizer Comedian und Social-Media-Star Zeki Bulgurcu, der Beytos besten Freund spielt.
Neben seiner Gefühlssicherheit und dem realistischen Einsatz der Sprachen ist es auch eine grosse Stärke dieses Films, dass es Gitta Gsell gelingt, einem alle Figuren ans Herz zu legen. Der Film stellt das Dilemma des schwulen Sohnes nicht über die Verständnisnot seiner Eltern – und zeichnet so ein gesellschaftliches Umfeld, das überzeugend die aktuelle Schweiz widerspiegelt.
Und als ob das nicht schon Leistung genug wäre, bekommt das überzeugende Drama am Ende noch einen einleuchtenden, hoffnungsvollen, realistischen und doch romantischen Twist, der das Publikum so beschwingt wie nachdenklich aus dem Kino entlässt.
Kinostart (unter Vorbehalt): 29.10.20