Petra Sprecher ist im richtigen Leben ausgesprochen wehrhaft und schlagfertig – nicht nur beim Reden. Seit Jahren arbeitet sie in Los Angeles als Stuntfrau.
Angefangen hatte sie beim Basler Jugendzirkus Basilisk. Als Trapez-Künstlerin mit dem Cirque de Soleil kam sie als Star in der Welt herum.
Später ging sie nach Los Angeles und flog dort als Stuntfrau durch die Lüfte, in Produktionen wie «Flight» mit Denzel Washington, in «Pirates of the Caribbean» oder in «Eagle Eye».
Weibliche Opfer gesucht
Aber bald wurden die «Flying Acts» in Hollywood rarer, gesucht waren allmählich vielmehr weibliche Opfer für Kriminalfilme: «Da bist du dann die, die vergewaltigt, verprügelt, die Treppe hinunter gestossen wird …», sagt Petra Sprecher.
Plötzlich ist nicht mehr die souveräne Eleganz der Zirkus-Artistin gefragt, sondern eine überzeugende Opferhaltung. Keine durchgestreckten Knie, sondern glaubwürdiges Zusammensacken.
Filmreif verprügelt
Die Erfahrung, die Petra Sprecher in Los Angeles erst nach ein paar Jahren machte, ist Alltag für die französischen Stuntfrauen, die «Cascadeuses». Sie stehen mit Petra Sprecher im Zentrum des Schweizer Dokumentarfilms von Elena Avdija.
Ursprünglich sei sie für ihr Filmprojekt von der Faszination für die taffe Arbeit der Stuntfrauen ausgegangen, erinnert sich Elena Avdija lachend.
Aber dann habe sie schnell gemerkt, dass diese vorwiegend weibliche Gewalt-Opfer zu verkörpern haben. Und dass bisher kaum jemand diese doch bezeichnende Seite der Filmindustrie wahrgenommen habe.
Die Stuntfrauen im Schatten
Sie habe sich darum für das interessiert, was im Dunkeln bleibe, sagt Elena Avdija. Alles, was so grandios fürs Kino gefilmt werde, erfordere, dass die Stuntleute im toten Winkel bleiben: «Die Stunts sind Teil der Kinomagie. Wie sie gemacht werden, soll unsichtbar bleiben – darum verharren die Stuntleute im Schatten. Und im Schatten des Schattens finden sich die Stuntfrauen.»
Es stelle sich schnell die Frage, wer denn vor allem Gewalt erleide und wie der weibliche Körper auf der Leinwand dargestellt werde, sagt Elena Avdija. In ihrem Dokumentarfilm «Cascadeuses» zeigt sie das mit einer erschlagenden Montage aus Opferstunts in einer ganzen Reihe von europäischen Filmen.
Das Drehbuch gibt das Körperbild vor
Frauen werden vergewaltigt, verprügelt, an den Haaren herumgeschleift, überfahren oder erwürgt. Das sind nicht etwa Szenen aus extremen Filmen, sondern aus ganz normalen Kino- und Fernsehdramen.
Natürlich verstärken die Stuntfrauen mit ihrem heroischen Einsatz diese Körperbilder. Das sieht auch die Dokumentarfilmerin so. Aber es stelle sich die Frage der Ermächtigung. Die Stuntfrauen hätten keinen Einfluss auf die Drehbücher, sie wüssten oft bis kurz vor Drehbeginn einer Szene nicht einmal, was genau gefordert sei.
Die Kontrolle darüber, wie der weibliche Körper generell inszeniert und repräsentiert werde, liege bei den Filmemachern und den Drehbuchautoren, sagt Elena Avdija. Sie spricht in der männlichen Form: «Das sind nach wie vor männlich dominierte Berufe.»
Kinostart: 17.11.2022