«In diesem gottverdammten Land bringen sich die Leute gegenseitig um, verstümmeln sich gegenseitig zu einem Klumpen Fleisch. Fuck why?» Diese Notiz findet die Filmemacherin Anja Kofmel in den Notizbüchern von ihrem Cousin Christian Würtenberg, genannt Chris.
Er will vom Jugoslawienkrieg als Journalist berichten. Anja Kofmel ist ein kleines Mädchen, als er 1992 in Kroatien unter mysteriösen Umständen umkommt. Was ist passiert?
Im animierten Dokumentarfilm «Chris the Swiss» geht die Regisseurin 25 Jahre später auf Spurensuche, vollzieht Christians Reise nach und spricht mit Menschen, die ihn kannten.
Anja Kofmel findet heraus: Ihr Cousin hängte den Reporterjob an den Nagel und schloss sich einer rechtsextremen Söldnerbrigade an. Warum tat er das, wenn er den Krieg eigentlich verabscheute? Die Frage, wie und warum Chris starb, wird immer rätselhafter.
Top-Terrorist «Carlos»
Eine Überraschung: Während ihrer Recherchen stösst die Regisseurin in den Notizen von Chris auf den Namen «Carlos». Den Namen kannte in den 1970er- und in den 1980er-Jahren fast jeder.
«Carlos», mit bürgerlichen Namen «llich Ramirez Sanchez», war damals einer der meistgesuchten Terroristen, der für Flugzeugentführungen, Geiselnahmen und Attentate verantwortlich war. Er sitzt seit 1994 in Frankreich im Gefängnis.
Kofmel kann tatsächlich mit dem Terroristen sprechen. «Carlos» erklärt ihr, warum seiner Meinung nach Chris sterben musste: «Er war ein Spion des Schweizer Geheimdienstes, deshalb haben sie ihn umgebracht.»
Das bleibt eine Behauptung. Kofmel findet keine weiteren Hinweise, die die Aussage des Terroristen belegen.
Gezeichnete Realität
«Chris the Swiss» ist kein einfacher Dokumentarfilm. Anhand der Notizen ihres Cousins versuchte sich die Regisseurin vorzustellen, wie Chris in Kroatien gelebt hatte.
Wie man diese spekulativen Momente bebildert, war die Frage, die sich ihr stellte. Kofmel entschied sich für die Hybridform des animierten Dokumentarfilms (auch Animadok genannt).
Für die Zeichnungen in «Chris the Swiss» arbeitete Anja Kofmel mit 35 Zeichnern. Eine Sekunde Animation entspricht neuneinhalb Stunden Arbeit. Insgesamt arbeitete die Regisseurin sechs Jahre an ihrem Film.
Film-Fazit
Gefilmte und gezeichnete Bilder verschmelzen bei «Chris the Swiss» zu einer spannenden Geschichte. Das ist die Stärke von Anja Kofmels erstem Langfilm: Sie setzt im richtigen Moment auf Animation, lässt gleichzeitig ihren Interviewpartnern genug Platz. Eine Mischung, mit der sie ins Schwarze trifft.
Kinostart: 13. 9.2018