Elisabeth steht auf einer Wiese, auf sie gerichtet ist eine Kamera. Der Stummfilm-Pionier Louis Le Prince hat die Schönheit für Probeaufnahmen mit seinem Prototyp vor die Linse gebeten.
Ob diese Maschine sie hören könne, fragt Sisi. Der Filmer verneint. Da setzt die österreichische Kaiserin an und brüllt lachend Unflätiges in das ratternde Gerät. Hören wird diese Schimpfwörter niemand.
Die Szene ist symptomatisch für Elisabeth (Vicky Krieps), wie sie im Kinofilm «Corsage» geschildert wird. Die Kaiserin ist mittlerweile 40 Jahre alt. Ihr Leben am Hof ist ihr verleidet. Gröbere Verstösse gegen die Etikette unterlässt sie. Dafür ist sie zu sehr in ihre Rolle hineingewachsen, in ihr eng geschnürtes Korsett. Aber insgeheim zerrt sie am Mieder. Sie sucht nach ihrer wahren Gestalt.
Eine unter vielen?
Die Autorin und Regisseurin Marie Kreutzer steht zurzeit nicht allein da mit ihrer Version der Kaiserin Elisabeth. Um den gleichen Stoff drehten und drehen sich zurzeit – ohne ersichtlichen Anlass – eine RTL-Serie, eine Netflix-Serie, ein angekündigter Spielfilm von Frauke Finsterwalder und ein Roman von Karen Duve.
Gefragt danach, wodurch diese «Sisi», so nannten sie ihre Geschwister, aus diesen Kaiserinnen heraussticht, antwortet Kreutzer: «Ich stiess bei meinen Recherchen auf eine Frau, die sich nie sehr wohl gefühlt hat in ihrer Rolle. Die dann irgendwann dagegen rebellierte. Eine sehr kluge, widersprüchliche, introvertierte Frau, die wenig zu tun hat mit dem, was uns andere Sisi-Filme schon vermittelt haben.»
Protest durch Schweigen
Die Rebellion hält sich dabei in Grenzen: Diese Sisi plant keine Palastrevolte, sondern sucht nach möglichen Freiräumen im System und findet sie auch.
Marie Kreutzer sagt: «Es sind kleine Rebellionsakte, die auf historischen Fakten basieren.» Kaiserin Sisi hätte etwa an Feiern teilgenommen, aber nichts gegessen und mit niemandem gesprochen. «Das schien mir eine interessante Provokation: Sie musste zwar dort sein, aber niemand konnte sie zwingen, zu essen oder zu reden.»
Wer also in «Corsage» eine Elisabeth mit Punk-Attitüde erwartet, dürfte tendenziell enttäuscht werden. Der Film holt die Kraft seines Sisi-Porträts vielmehr aus den anderen drei Charaktereigenschaften, die Kreutzer ihrer Figur zuschreibt: Intellekt, Widerspruch, Introspektion.
Keine einfachen Antworten
Elisabeth ist frustriert, weil ihr nach ihren Positionen zu Ungarn keinerlei politisches Mitsprachrecht mehr gewährt wird. Aber als Monarchin fühlt sie sich trotzdem. Auf ihre Schönheit reduziert zu werden – das widerstrebt ihr zutiefst. Aber sie spielt dieses Spiel schon zeitlebens und auf Dauer immer besser.
Solche Ambivalenzen machen aus «Corsage» einen anregend komplexen Film. Sisi bricht immer wieder aus, aber vorwiegend tut sie das nach innen: Sie hört zunehmend auf ihre Bedürfnisse. Sie hat sich noch nicht in jeder Hinsicht gefunden.
Das ist als Erzählgestus nicht nur modern, sondern auch spannend: Wo dieses Sisi landen wird, das ist schwer zu erahnen – selbst wenn man ihre Biografie schon in- und auswendig kennt.
Kinostart: 6.10.2022