Seit der «Pate»-Filmtrilogie wissen wir: Die mörderischen Familienwerte der Mafia sind gefährlicher als die Drogen, mit denen sie handeln.
Im kolumbianischen Drama «Pajaros de verano», das vom Aufstieg und dem Fall eines indigenen Drogen-Clans erzählt, ist das genauso.
Warum wohl, fragt Ursula ihren künftigen Schwiegersohn Rapayet, sei ihr Einfluss auf ihre Sippe so gross? Weil sie die Traditionen hüte, antwortet Rapayet.
Falsch, erwidert Ursula: «Weil ich bereit bin, alles für meine Familie zu tun.» Wie weit sie dabei geht, wird der Schwiegersohn am eigenen Leib erfahren.
Peace, Love und Kugeln
Mit einer Familienfeier fängt «Pajaros de verano» an. Ursulas ältere Tochter Zaida vom indigenen Stamm der Wayuu wird volljährig.
Schwarzmarkthändler Rapayet möchte sie heiraten, doch die Mutter fordert eine hohe Mitgift: Kühe, Ziegen, wertvolle Ketten. Rapayet kann seine Braut erst heimführen, als er ein lukratives Geschäft entdeckt: den Drogenhandel.
Amerikanische Mitglieder des Peace Corps sind auf der Suche nach Marihuana, Rapayet beschafft es. Bald wird das illegale Kraut in immer grösseren Mengen zu den friedliebenden Hippies in die USA ausgeflogen.
Im Anbauland Kolumbien hingegen führt der Export zur Aufrüstung, plötzlich stecken Pistolen in den Hosenbünden der Hanfbauern. Der neue Besitzstand will verteidigt sein.
Fatal wie ein Spaghetti-Western
In fünf Kapiteln schildert der Film die verheerenden Folgen von Profitgier und Familienfehden, bevor Kokain in Kolumbien zum illegalen Exportgut Nummer eins wurde.
Über eine Zeitspanne von zehn Jahren stauen sich Wut und Ressentiments an. Bis es zu einem Showdown kommt, der an den brutalen Fatalismus eines Spaghetti-Westerns erinnert – oder an ein Stück von Shakespeare.
Rapayet gerät zunehmend unter Druck. Einerseits versucht er, den florierenden Drogenhandel nüchtern abzuwickeln und mögliche Konkurrenten auszuschalten.
Andererseits fühlt er sich von seiner Familie und den düsteren Weissagungen seiner Schwiegermutter gegängelt. Als ein Familienkrieg droht, versucht Zaida ihren Mann zur Flucht zu bewegen. Doch dafür ist es zu spät.
Opfer der Globalisierung
Wer die Netflix-Serie «Narcos» über den schillernden Drogenbaron Pablo Escobar kennt, kann «Pajaros de verano» als ein Art Prequel zu den kolumbianischen Kokain-Kartellen verstehen. In beiden Geschichten geht es um den gewaltsamen Zusammenprall von archaischer Clanstruktur und Globalisierung.
Das Drama ist historisch und geografisch klar umrissen, aber zeitlos und mit einem klaren Blick auf die Gegenwart erzählt. Darüber hinaus bietet «Pajaros de verano» ein wuchtiges Kinoerlebnis.
Vor der atemberaubenden Naturkulisse der Guajira-Halbinsel wirkt die Jagd nach dem grossen Geld so unwirklich wie Gespensterglaube und Wahrsagerei.
Man kann das als magischen Realismus bezeichnen. Die Hanfbauern im Film haben für ihren Fiebertraum vom vermeintlich besseren Leben einen geläufigeren Namen: Sie nennen es Kapitalismus.
Kinostart: 25.10.2018
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 25.10.2018, 8:20 Uhr