Fertig lustig. Mit dem Spatz geht’s zur Sache, Familie ist nichts für Feiglinge. Bei Ingmar Bergman, dem schwedischen Meisterregisseur des Familien- und Ehedramas, war «Schreie und Flüstern» 1972 der internationale Durchbruch.
Ramon Zürcher beruft sich auf Ingmar Bergman als einen seiner frühen Einflüsse. Ein anderer sei David Lynch gewesen, mit «Mulholland Drive».
Früher leichte, jetzt schwere Kost
Darauf wäre man nicht unbedingt gekommen, angesichts der flirrenden Leichtigkeit, mit der Ramon und Silvan Zürcher seinerzeit die Berlinale eroberten, 2013 mit «Das merkwürdige Kätzchen», 2021 dann mit «Das Mädchen und die Spinne».
Zwar spielten beide Filme virtuos mit den kleineren und grösseren Dramen im Familiengefüge, aber da kamen die Bisse beiläufig und charmant verdeckt, die Seitenhiebe, die Verletzungen, das Ringen um Zugehörigkeit und Ablösung meist so, dass man sich auch verhört haben konnte.
Das ist nun nicht mehr so beim grossen Familientreffen im alten Haus am See. Da sagt der Sohn der Mutter geradeheraus, dass er sie hasse. Und die Tochter droht damit, das Haus anzuzünden, wenn die Mutter noch einmal eines ihrer T-Shirts beim Waschen zerreisse.
Kalte Familienverhältnisse
Es ist Karen (Maren Eggert), welche bei allen aneckt, mit ihrer Kälte, ihrem Sarkasmus, ihrer rigiden Zurückhaltung. Dabei ist ihre Schwester mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern gekommen, um den Geburtstag von Karens Mann zu feiern.
Auch die älteste Tochter Johanna (Lea Zoe Voss) taucht auf, wenn auch verspätet. Und Liv (Luise Heyer) ist auch da, die junge Frau, welche die Hunde hütet und in der Holzhütte am Waldrand wohnt. Sie trägt die Wärme ins Haus, welche Karen abhandengekommen ist.
Es sind viele Familienmitglieder, welche diesen Film nach und nach bevölkern, und fast alle wachsen einem ans Herz, über ihre Begegnungen miteinander.
Der alltägliche Horror
Blut fliesst. Das merkwürdige Kätzchen muss dran glauben. Ein Huhn fliegt trotz abgehacktem Kopf quer durch den Garten. Der Spatz, der sich in den Kamin verflogen hat, ist blöd genug, das noch ein zweites Mal zu tun.
Die selbstbewusste Jugendliche Johanna bringt ihren Onkel mit eindeutigen Zweideutigkeiten aggressiv in Verlegenheit, um dann plötzlich mit morbiden Geschichten – eher wie Wednesday Addams aus der gleichnamigen Monster-Familie – zu schocken.
Gleichgewicht des Charmes und Schreckens
«Der Spatz im Kamin» ist so elegant und raffiniert wie seine beiden Vorgängerfilme und bisweilen auch ähnlich vergnüglich. Zugleich aber gelingt es Ramon Zürcher mit seinen hervorragenden Darstellerinnen und Darstellern, ein neues Gleichgewicht des Charmes und des Schreckens zu schaffen, das unter die Haut geht.
Das ist keine kleine Leistung bei einem Film, der nur funktionieren kann, wenn er sich seiner Sache absolut sicher ist, nie auch nur ansatzweise zögert.
Ein einziger falscher Ton, ein einziger verschenkter Moment und «Der Spatz im Kamin» würde zu seiner eigenen Parodie. Aber das passiert nicht. Ingmar Bergman und David Lynch dürfen stolz sein.
Kinostart: 19.09.2024.