Die Welt hat 197 Länder. Von diesen haben 44 keinen Zugang zum Meer. Die Schweiz ist eines davon. Und doch fahren Frachter mit Schweizer Flagge auf den Weltmeeren.
Die Hochseeflotte gibt es seit fast 80 Jahren. Ihre Geschichte erzählt der Dokumentarfilm «L’île sans rivages».
«Wir gingen auf See, aber wir nahmen unsere Berge mit»
«Als junger Mann sah ich die Anzeige in der Schweizer Illustrierten und dachte: Das will ich machen», sagt der über 90-jährige Jaques Voirol im Dokumentarfilm.
Er war einer der ersten Seemänner der Schweiz. Während des Zweiten Weltkriegs fuhr er auf Frachtschiffen über die Weltmeere. Aber warum konnten damals Männer wie Jaques Voirol auf einem Schweizer Schiff anheuern?
Zwischen Bergen von Dokumenten erklärt Historiker und Journalist Pietro Boschetti – einer der Experten in «L’île sans rivages» – weshalb es die Schweiz im Zweiten Weltkrieg für wichtig gehalten hatte, eine Flotte zu haben.
Das Problem für die Schweizer Behörden wären 1940 die Transport- und Versorgungsrouten für Handelswaren aus Übersee gewesen, erklärt Boschetti. Man sah wegen des Krieges die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern gefährdet und hoffte, dass deutsche und alliierte U-Boote die Schiffe der neutralen Schweiz nicht angriffen.
Das erste Schiff wurde 1941 in Dienst gestellt. Vier Jahre später waren es zwölf. Die ersten Schiffe hatten Namen wie «St. Gotthard», «Säntis», «Eiger» und «Chasseral». «Wir gingen auf See, aber wir nahmen unsere Berge mit», sagt Pietro Boschetti.
Für Krisenfälle vorbereitet
Nach Kriegsende wurde die Handelsflotte beibehalten. In den 1950er-Jahren hat der Bund die Schiffe der Flotte an Schweizer Reedereien verkauft, behielt sich aber vor, diese in Krisenfällen benutzen zu können.
Im Gegenzug ging Bern eine Bürgschaftsverpflichtung ein. Sprich: Kommt eine der Reedereien in einen finanziellen Engpass, muss der Bund geradestehen und zahlen.
Bis heute hat sich an der Aufgabe der Hochseeflotte offiziell nichts geändert. Nach wie vor soll sie im Fall einer Krisensituation das Land mit Gütern versorgen. Zurzeit fahren noch 30 Schiffe unter Schweizer Flagge.
Seemänner trinken und haben Tattoos?
Einer der heutigen Seemänner ist Alexander Frauenknecht. In «L’île sans rivages» sieht man ihn auf einem Sofa – neben seiner Mutter sitzend und mit einem Foto-Album auf dem Schoss.
Er erzählt von den Reisen auf hoher See, aber auch davon, dass es kaum Nachwuchs gibt. Er kann nicht verstehen, warum sich nicht mehr Schweizer für diese abenteuerliche Arbeit begeistern.
Vielleicht haben die Menschen ein falsches Bild der Seefahrt im Kopf. Selbst Frauenknechts Mutter war erst nicht begeistert vom Karrierewunsch des Sohnes. Sie hatte die typischen Klischees über Seemänner im Kopf. Dass alle Alkoholiker sind, volltätowiert und an jedem Hafen eine andere Braut haben.
«Der Markt ist katastrophal»
Wie lange es die Schweizer Hochseeflotte noch geben wird, weiss keiner so recht. Seit Jahren hat sie finanzielle Schwierigkeiten. Trotzdem werden paradoxerweise noch Schiffe gebaut.
«L’île sans rivages» zeigt, wie 2017 der Präsident der Reederei Suisse Atlantique, Eric André, in Nha Trang in Vietnam ein Schiff einweiht. Der neue Frachter soll nach Singapur fahren, wo aber bereits ein anderer auf Aufträge wartet.
«Der Markt ist katastrophal», erklärt Eric André. Aber er gibt sich positiv: «Mit den ständig wechselnden Zyklen des Marktes wird es funktionieren, das Schiff ist schliesslich für 25 Jahre gebaut».
Zu viel Optimismus?
Ob der Optimismus angebracht ist? Schaut man sich die Schlagzeilen der vergangenen Monate an, sieht es düster aus: 2017 wurden 13 Schiffe mit Verlust verkauft. Der Bund als Bürge (und damit der Steuerzahler) musste 215 Millionen Franken zahlen.
Schon im Dezember 2016 hiess es in einem Bericht des Wirtschaftsdepartments zur Schweizer Flottenpolitik, dass die Flotte ihre Daseinsberechtigung seit dem Zweiten Weltkrieg verloren habe und keinen entscheidenden Mehrwert zur Versorgung der Schweiz leiste. Der Bundesrat hat entschieden, dass die Bürgschaften 2032 auslaufen.
Kinostart: 6.9.2018